Knochenkälte
sich auf, aber weiter als bis auf die Knie kommt er nicht. Der Ringrichter zählt ihn aus und der Gewinner reckt die behandschuhte Hand in die Luft.
Es ist Freitagabend, und das Molson Center in Barrie ist rappelvoll, weil hier die Regionalkämpfe für die Landesjuniorenmeisterschaften abgehalten werden. Fühlt sich an wie in einem Gewächshaus, warm und feucht von den vielen Leuten und den Kämpfen im Ring.
»Ash ist als Nächste dran.« Howie beugt sich vor. Er, Pike und ich sitzen in der zweiten Reihe.
»Siehst du die Blondine da vorne am Ring?«, murmelt Pike um seinen Hotdog-Bissen herum. »Die ist scharf auf mich. Lässt mich nicht aus den Augen.«
Stimmt, sie starrt ihn an, aber eher fassungslos. Vermutlich weil er das Essen wie eine ausgehungerte Hyäne runterschlingt. Nur dass sein Maul nicht vor Blut trieft, sondern vor verschmiertem Ketchup.
»Die ist nur geschockt, wie viele Hotdogs du in dich reinstopfst.«
»Da kommt Ash!«, sagt Howie.
Ich stehe auf, um über die Köpfe der Menge hinweg zu sehen. Ash stapft auf den Ring zu, ihre stacheligen schwarzen Haare ragen durch die Öffnungen ihres Helms in die Höhe. Ihr Vater folgt ihr. Er ist einen guten Kopf größer und doppelt so breit wie sie. Ein Vollblut-Ojibwa mit wettergegerbtem Gesicht und einer durchdringenden schwarzen Hitze in den Augen. Er ist gleichzeitig auch Ashs Coach. Ich hab ihn im Borden in der Halle gesehen, wie er mit ihr trainierte. Sie nennen ihn Nick, weil sein echter Name indianisch und schwer auszusprechen ist - Nishkahdze oder so. Das bedeutet »der Wütende«. Ash sagt, er wäre so genannt worden, weil er bei seiner Geburt geschrien und mit den Fäusten immer in die Luft geboxt hätte. Er hat so ein Gesicht, in dem man kaum lesen kann. Man weiß nie, ob er sauer ist oder einen bloß auslacht.
Ash hat die gleiche Hitze in den Augen, als sie jetzt an uns vorbei Richtung Ringstufen geht. Sie sieht uns nicht, scheint überhaupt nichts von den Zuschauern wahrzunehmen - ist ganz in ihrer eigenen Kopfwelt.
Ihr Dad folgt ihr in den Ring. Ash hebt die Schultern, lässt den Kopf kreisen und schüttelt die Arme aus, um die Muskeln zu lockern. Nick reibt ihr den Nacken und flüstert ihr etwas ins Ohr.
Ash trägt einen knielangen pupurroten Boxmantel, auf dem Rücken prangt ein indianisches Bild mit einem ziemlich angepisst aussehenden Raubvogel. Ash wirkt wild und gefährlich. Ich kann den Blick nicht von ihr abwenden. Würde ich sie jetzt berühren, wäre es bestimmt, als hätte ich einen Blitz geküsst.
Das andere Mädchen klettert in den Ring.
»Die ist ja hässlich wie die Nacht«, sagt Pike.
Fies, aber es stimmt. Die blasse Rothaarige hat eine klumpige Nase, und wo sie schon mal gebrochen war, knickt sie breit geklopft nach unten weg. Und ihre Augen stehen zu eng beieinander.
Nick nimmt Ash den Mantel ab und legt ihn sich über die Schulter. Sie ist ganz in Rot gekleidet, Hose und Top, und die Boxschuhe haben purpurrote Quasten dran.
Der Ringsprecher schiebt sich in die Mitte des Rings. »Unser nächster Kampf findet in der Kategorie Leichtgewicht Damen statt. Geboxt werden maximal vier Runden. Mit schwarzer Hose, aus Muskoka, mit einer Kampfliste von sechs Siegen und zwei Niederlagen - Jennifer Mankowski.«
Jubelschreie erheben sich im Lager ihrer Fans, von uns dreien gibt’s Buhrufe.
»Und mit roter Hose, aus Harvest Cove, mit einer Kampfliste von fünf Siegen und null Niederlagen - Ashley Animkee.«
Die Zuschauermeute grölt - da sind etliche Leute vom Stützpunkt gekommen, um Ash und die anderen Army-Bälger, die heute antreten, anzufeuern.
Die Trainer verlassen den Ring. Ashs Dad kommt zu uns rüber und schmeißt mir ihren Mantel auf den Schoß. »Halt das mal. Und macht ordentlich Krach, Jungs.«
Dann nimmt er seinen Platz neben Ashs Ecke ein und stellt seine schwarze Ledertasche neben sich auf einen Hocker. Seine Zaubertasche. Handtücher sind da drin, Wasserflaschen, irgendwelche geheimnisvollen Salben und andere Sachen.
Ashs Mom kommt nie zu den Kämpfen. Sie erträgt es nicht,
zuzusehen, wie auf ihr Mädchen eingedroschen wird. Ich sehe zu den Augen des Raubvogels auf dem Boxmantel runter, der auf meinem Schoß liegt. Der Mantel trägt immer noch ihre Körperwärme in sich.
Ash geht in die Mitte des Rings und liefert sich mit ihrer Gegnerin den üblichen Starrwettbewerb, während der Ringrichter ihnen die Regeln vorbetet. Dann stoßen sie ihre Handschuhe aneinander und treten zurück in ihre jeweilige
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