Knochenkälte
hat er sich sogar auf dem Boden gewälzt, um Pike loszuwerden, aber der hat einfach nicht losgelassen. Irgendwann hat Napalm dann aufgegeben und ist total erschöpft auf dem Bauch liegen geblieben.«
»Da wussten wir dann endgültig, dass Pike nicht ganz richtig im Kopf sein kann«, sagt Ash.
Howie brummt. »Das wussten wir doch schon lange vorher. Aber mit anzusehen, wie er Napalm in die Knie zwang, das war echt ein Erlebnis.«
Er ist stolz auf seinen Bruder, egal was.
Ash klopft mir auf die Schulter. »Lass mich mal raus. Ich muss pinkeln.«
Als sie weg ist, fallen mir meine Handyfotos wieder ein. Jetzt wo ich mit Howie allein bin, hab ich keine Ausrede mehr, es auf die lange Bank zu schieben.
»Ich muss dir mal was zeigen.« Ich krame mein Handy raus. »Ich hab da so ein paar merkwürdige Spuren im Schnee gefunden. Von irgendeinem Tier, denke ich mal. Vielleicht hast du eine Ahnung, von wem oder was die stammen könnten?«
Ich hole die Fotos aus dem Graben aufs Display. »Hier.« Ich reiche Howie das Handy.
Howie blättert die Fotos auf dem kleinen Bildschirm durch. »Wo hast du die gemacht?«
Ich nippe an meiner Cola und spiele auf Zeit. Ich will nicht zu viel sagen, nicht dass der Eindruck entsteht, ich wäre
durchgeknallt oder so. »Unten am See«, sage ich. »In einem... Graben.«
»Hm.« Howie runzelt die Stirn. »Was hast du denn in einem Graben gemacht?«
»Ist doch egal. Lange und wirre Geschichte. Also, was meinst du? Was für ein Tier hinterlässt solche Spuren?«
Howie macht noch ein paar Hm-Geräusche und starrt mit zugekniffenen Augen auf die Fotos. »Seltsame Krallenspuren. Acht Zehen pro Pfote? Und der Ballen...«
Immer wieder blättert er vor und zurück.
»Was hast du für eine Schuhgröße?«, fragt er dann und schaut sich das Bild an, wo ich meinen Fuß zum Größenvergleich direkt neben die Spuren gestellt hatte.
»Vierundvierzig.«
Howie blinzelt. Dann holt er einen Stift raus. »Gib mir mal deine Schuhe.«
»Hä?«
Ich zögere, während er ein Stück Tisch freiräumt. Aber dann ziehe ich meine Schuhe aus und reiche sie ihm rüber. Die Gedankengänge eines Genies sollte man nie zu ergründen versuchen.
Er nimmt die Fotos und meine Laufschuhe als Anhaltspunkte, rechnet und schätzt und zeichnet blasse Linien auf den Holztisch. Dann skizziert er eine der Spuren und markiert die Position der Krallen mit kleinen, bogenförmig angeordneten Kreisen.
Die Zeichnung nimmt fast den ganzen Tisch ein.
»Wow, das ist...« Howies Stimme verklingt. »Ich hab keine Ahnung, was das ist.«
»Vielleicht ein Bär oder so?«
»Nö. Auch wenn man von einem gigantischen Eisbären mit langjährigem Steroid-Missbrauch ausgeht - die Größenverhältnisse stimmen einfach nicht. Die Ferse, die Spannweite der Zehen.«
»Und was dann?«
Howie zuckt mit den Schultern, ein kleines verwirrtes Lächeln auf den Lippen. »Bigfoot vielleicht? Oder der Yeti?«
»Kannst du irgendwas drüber rauskriegen?«, frage ich. Ich bin froh, dass er mich nicht nach der genaueren Geschichte ausquetscht.
»Klar. Ich muss die Fotos nur an ein paar Leute mailen.« Er schickt die Bilder von meinem Handy an seine Mail-Adresse.
Als Ash wiederkommt, sieht sie meine Schuhe auf dem Tisch. »Was wird das denn? Strip Poker? Kann ich mitspielen?«
Ich grinse sie schief von der Seite an, während sie sich neben mich auf die Bank schiebt.
Um Mitternacht ist in der Legion Hall Zapfenstreich.
Das war ein guter Abend. Der beste seit langer, langer Zeit. Als wir über den Parkplatz gehen, mit den Lungen voller klirrender Eisluft, sind wir alle irgendwie high.
Ash ist von ihrem Sieg im Boxring noch ganz angefüllt, Pike prahlt damit herum, den Schnitter besiegt und sich hinterher etliche Telefonnummern von heißen Mädchen gekrallt zu haben. Howie starrt ins Leere, den inneren Blick auf die Monsterspuren gerichtet.
Und ich? Ich schwebe immer noch auf der elektrischen Woge von Ashs Berührung. Zehre von der Hitze ihres Körpers.
In diesem Augenblick gibt’s keine Vergangenheit und keine Zukunft. Keinen Ort, wo man stattdessen sein müsste. Unter dem klaren schwarzen, sternenübersäten Himmel umklammert uns der Schock der Kälte, brüllt uns ins Ohr, dass wir am Leben sind. Genau hier, genau jetzt.
Und wir fühlen uns alle... unbesiegbar vielleicht.
Unsterblich.
zehn
Es erwischt mich immer dann, wenn ich nicht damit rechne. Ich steige aus der Dusche und rubbele mir das Haar trocken. Der Spiegel ist vom Dampf
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