Knochenkälte
er versucht zu entkommen? Sich zu verstecken? Sich umzubringen?
Und wenn das Ding, das ihn angegriffen hat, dasselbe war wie die Bestie, die hinter mir und Howie her ist - wie lange haben wir noch, bis wir durchdrehen und uns in die Nacht stürzen?
siehzehn
Ich schwänze die Schule und besuche Howie. Er ist immer noch krankgeschrieben. Versteckt sich in seinem Zimmer.
Unser gemeinsamer Albtraum liegt jetzt ein paar Tage zurück. Jedes Mal wenn ich gerade anfange, daran zu zweifeln, dass er wirklich stattgefunden hat, ruft Howie an und will darüber reden. Heute hat er schon vor dem Frühstück angerufen und gesagt, er will mir was zeigen. Er wollte nicht sagen, was, ich müsste schon selber rüberkommen und es mir anschauen. Also hab ich mit Ash telefoniert - sie macht jetzt auch blau und fährt mich.
Die Feldwege sind eine einzige Katastrophe. Jede Wurzel und jedes Schlagloch, über das wir mit dem Motorrad rumpeln, setzen in meinem Schädel eine Mini-Explosion frei. Die Kopfschmerzen, die ich seit meinem Sturz in den Graben mit mir rumschleppe, haben sich mittlerweile zu einer Migräne ausgewachsen. Das Millionen-Watt-Geglitzer der Sonne, das vom Schnee reflektiert wird, pikst mir wie mit tausend Nadeln in den Augenhintergrund.
Als wir bei Howie ankommen, macht seine Mom die Tür auf.
»Die Jungs sind oben«, sagt sie. »Aber strengt Howie nicht
zu sehr an, okay? Er braucht Ruhe. Er war fast die ganze Nacht auf.«
Ash und ich gehen hoch. Howie sitzt vor seinem Computer, Pike auf dem Bett. Beim Knacken der aufgehenden Tür wirbelt Howie sofort herum, schreckhaft wie immer.
»Hey, Howie. Geht’s dir besser?«, frage ich.
»Mein Schädel dröhnt und alles tut weh. Ich krieg so gut wie keinen Schlaf. Ach ja, und einen ekligen Schnitt von einer Papierkante hab ich auch.«
»Also nein«, sage ich.
Ich greife mir einen Stuhl und lasse mich darauf sinken. Hier ist es wie in einem Gewächshaus. Howie muss den Heizkörper bis zum Anschlag hochgedreht haben. Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie über die Stuhllehne. Von Kopf bis Fuß tut mir alles weh, ein dumpfes Pochen wie von einer fiesen Grippe.
Howie und ich haben uns darauf geeinigt, das mit dem Albtraum für uns zu behalten. Es ist einfach zu abgedreht. Der Albtraum als i-Tüpfelchen auf dem ganzen Zeug, was vorher passiert ist, das ist einfach zu viel.
»Willst du noch eine Kopfschmerztablette, Howie?«, fragt Pike. Er schwänzt die Schule, um auf seinen Bruder aufzupassen.
»Ich hab schon’ne Überdosis. Und es wirkt null.«
»Du solltest was essen«, versucht Pike es wieder.
Howie brummt ein Nein. Er fläzt sich auf dem Stuhl und man sieht seine Schulterknochen durchs T-Shirt drücken. Es sieht aus, als hätte er vergessen, den Kleiderbügel rauszumachen, bevor er das Shirt angezogen hat.
»Und, was hast du gefunden?« Ich deute mit dem Kopf zum Computer und den Büchern und Ausdrucken auf dem Schreibtisch hin.
»Ich sag’s dir gleich. Aber erst mal musst du was für mich erledigen.«
»Nämlich?«
Er nimmt ein Glas vom Karteikasten neben seinem Schreibtisch. Darin steht ein Thermometer.
»Steck dir das mal in den Mund. Frag nicht, mach’s einfach.«
Ich nehme das Glas und beäuge misstrauisch das Thermometer.
»Es ist sauber, ich hab’s abgewaschen. Na los, steck’s in den Mund. Danach zeig ich dir, was ich gefunden hab. Das wird dich umhauen, glaub’s mir.«
Ich lege mir das Thermometer unter die Zunge.
»Ist das auch wirklich das orale Thermometer?«, feixt Pike.
»Hör nicht auf ihn«, sagt Howie und rafft ein paar ausgedruckte Seiten zusammen. »Das hier hab ich von der Website des Barrie Examiner . Der wurde vor siebzig Jahren gegründet, und man kriegt im Internet jeden Artikel runtergeladen, egal wie alt der ist. Ich hab mal nachgeguckt, ob es in Harvest Cove schon mal irgendwelche Angriffe von Tieren gegeben hat - Bären, Pumas, Wölfe, was auch immer.«
Ich würde sagen, unser Angreifer fällt in die Kategorie »was auch immer«.
»Dann ist mir was zum Thema Ray Dyson aufgefallen. Als er verschwunden ist, haben die geschrieben, die Tollwut sei längst ausgerottet, es hätte in Harvest Cove seit fünfzehn Jahren
keinen Fall beim Menschen mehr gegeben. Also hab ich das Archiv mal durchforstet, was damals los war - und das hier hab ich gefunden.«
Er reicht mir ein Blatt Papier. Ash liest über meine Schulter mit. Der Artikel stammt von einem 12. Januar. Es geht um einen Schneesturm. Umgekippte Strommasten,
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