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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wäre ich umgekippt.«
    Ich stelle mich ans Fenster und sauge die hereinströmende kalte Luft ein. »Ich kapier das nicht. Das Ding hatte uns beide in den Klauen, es hätte uns auf der Stelle kaltmachen können - mich im Graben, dich auf dem See. Aber stattdessen beißt es uns nur - oder sticht uns oder wie auch immer - und lässt uns dann wieder laufen? Wie passt das zusammen?«
    »Vielleicht spielt es nur mit seinem Fressi«, sagt Pike.
    »Sehr witzig.« Ich lache nicht.
    »Nein, ich meine das ernst«, sagt Pike. »Schaut mal zu Agent Orange da oben.« Er zeigt auf die ausgestopfte Katze, die drüben auf dem obersten Regalbrett sitzt. »Als wir noch in Gagetown wohnten, war die der beste Mausefänger weit und breit. Hat sechs Stück am Tag gefangen. Die reinste Tötungsmaschine. Aber man konnte ihr kaum beim Jagen zuschauen - pure Folter. Ich meine, die hat die Maus gefangen, sie abgeschleckt, dann wieder laufen lassen. Und wenn die Maus weglaufen wollte, hat sich Agent Orange wieder auf sie gestürzt.
Fangen, loslassen, fangen, loslassen. Bis die Maus aufgegeben hat und nur noch dasaß und auf den Nackenbiss gewartet hat.«
    Ein Spiel? Auf dieses Spiel würde ich gern verzichten.
    »Und, was machen wir jetzt?«, fragt Ash.
    Normalerweise hat Howie immer eine Antwort parat, aber diesmal kriegen wir nichts außer einem schweren, hilflosen Seufzer.
    Meine Gedanken wirbeln in der Stille im Kreis herum, wie eine Maus, die hinter ihrem eigenen Schwanz herjagt.
    »Wie lange hat das gedauert?«, frage ich schließlich. »Ich meine, wie lange nach dem Biss ist Ray durchgedreht und abgehauen?«
    »Zwei Wochen.« Howie ist mir in Gedanken längst weit voraus.
    Ich rechne im Kopf nach, wie lange die Nacht im Graben her ist.
    Mir bleibt noch eine Woche.

achtzehn
    Kleinstädte haben eine seltsame Akustik. Was jemand am ei nen Ende des Ortes flüstert, kann ein anderer am anderen Ende klar und deutlich hören. Ob jemand seiner Frau oder seinem Mann übel mitspielt, für Fahren unter Alkoholeinfluss eingebuchtet oder beim Ladendiebstahl im Red and White erwischt wird, gekündigt oder geschwängert wird oder Kopfläuse bekommt - jede Nachricht braust wie ein Tornado auf Aufputschmittel sofort durch ganz Harvest Cove.
    Aber das gilt nur für kleine Sachen. Für die Peinlichkeiten und Fehlverhaltensformen des Alltags.
    Wenn große Sachen passieren, ist es so, als würde die ganze Stadt auf der Stelle ertauben. Fat Bill hat sich jahrelang ungehindert an kleine Jungs rangemacht. Jan Sorenson, der alte Mann, der jahrzehntelang die Tankstelle von Harvest Cove führte, konnte seine siebzigjährige Ehefrau ungestört verprügeln, auch jahrzehntelang. Bekannt wurde das erst, als sie an inneren Blutungen gestorben ist und die Bullen sich im Krankenhaus ihre Unterlagen angeguckt haben, aus denen hervorging, dass sie seit fast vierzig Jahren immer wieder dort eingeliefert worden war und schon so ziemlich jeden Knochen gebrochen hatte, den man sich brechen - oder gebrochen kriegen - kann.

    Gerüchte und Geschwätz hört jeder, quer durch die ganze Stadt. Aber den Schrei von nebenan hört niemand.
    »Mann, diese Stadt ist echt ein Loch«, sage ich und schaue auf die vielen Blätter, die Howie mir ausgedruckt hat, als wäre es eine Hausaufgabe.
    »Ja, ein schwarzes Loch«, sagt Ash.
    Wir haben die »Hausaufgaben« auf dem Boden ausgebreitet, sitzen nebeneinander auf ihrer Hantelbank und gehen die Beweisstücke durch.
    Ashs Zimmer ist durch und durch Ash . Auf dem Boden stapeln sich Gewichte und warten nur darauf, dass man sich die Zehen daran stößt, schmutzige Wäsche bedeckt jeden freien Quadratzentimeter, statt Tapeten kleben Plakate von Splatter-Filmen und Punkbands an den Wänden. Auf einer Tabelle, die hinten an ihrer Tür festgemacht ist, kann man ihre Trainingswerte ablesen, die Gewichtsentwicklung und ihre Laufleistungen. An einem Nagel hängt ein Army-Helm an der Wand.
    Ich zeige darauf. »Von deinem Dad?«
    »Ja.« Sie nimmt den Helm von der Wand und zeigt ihn mir. CPT ANIMKEE steht auf dem Schweißband an der Innenkante. »Schau mal her.« Sie tatscht mit dem Finger in die Staubschicht auf dem Metall. »Das ist echter afghanischer Wüstenstaub.«
    Mit einem kleinen Lächeln reibt sie das graue Pulver zwischen den Fingern. Sie ist stolz auf ihren Dad.
    Meine Kopfschmerzen sind zu einem dumpfen Pochen geschrumpft. Die Hitze macht mir immer noch zu schaffen, aber jetzt, wo ich mit Ash allein bin, ist das nicht so schlimm.

    Es klopft

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