Knochenkälte
das weckt einen auf, bevor man unten ankommt.«
Unten - auf diesen scharfen Felsen am Fuß der Klippe.
»Und wenn... wenn du dich täuschst? Wenn wir nicht aufwachen?«
Ich schaue zu der Bestie zurück und schüttele den Kopf.
»Im Traum kann einem nichts passieren.« Aber nicht mal ich selber kaufe mir das ab. »Alles ist besser, als hierzubleiben.«
Das Knurren hebt wieder an. Mein ganzer Körper erzittert.
Howie stöhnt. »Ich kann das nicht.«
Vielleicht spürt die Bestie, was wir denken. Vielleicht spannt sie die Muskeln an und macht sich zum Sprung bereit.
Ich muss es tun. Jetzt!
Ich stoße Howie über die Kante. Für den Bruchteil eines Augenblicks sehe ich sein entsetztes Gesicht, als er, die Arme nach mir ausgestreckt, rücklings ins Nichts hinabtaumelt.
Bevor ich denken, bevor ich einfrieren kann, springe ich ihm nach.
In den Abgrund, in die Nacht. Ich würde schreien, wenn ich könnte, aber die Geschwindigkeit des freien Falls reißt mir den Atem aus der Brust.
Der wütende Aufschrei der Bestie folgt mir den ganzen Weg nach unten.
Im Nebel des Sturzes erhasche ich immer wieder einen Blick auf Howie, der Hals über Kopf auf die Felsen da unten zurast.
Wach auf!, brülle ich mir im Kopf zu. Sofort!
Aber die Felsen brausen auf mich zu, der Wind wirft mich von einer Seite zur anderen.
Howie, ein blasser, unscharfer Schatten im Schlafanzug, schlägt auf den Felsen auf.
Ich hab ihn umgebracht! Ich hab Howie umgebracht! Ich hab mich selbst umgebracht!
Dann schlage ich unten auf.
Mit einem Schock, als hätte ich einen Stromschlag bekommen, wache ich auf. Ein erstickter Schrei erstirbt in meiner Kehle. Blind sehe ich mich im Zimmer um, immer noch das Gefühl des an mir zerrenden Windes in den Knochen.
Das Licht ist an. Kein Wind. Kein freier Fall.
Es dauert eine Minute, bis ich mich davon überzeugt habe. Ich bin hier. Wach. Am Leben. In Sicherheit.
Sicherheit?
Ich schwinge gerade meine Beine über die Bettkante, da klingelt mein Handy. Zitternd stehe ich auf und sehe auf die Uhr. Zwei Uhr morgens? Ich greife mir das Handy und sehe die Nummer des Anrufers.
»Howie?«
»Danny, bist du da?« Er keucht.
Mir ist immer noch schwindelig, mein Herz hämmert wie ein Maschinengewehr in meiner Brust. Ich breche auf dem Bett zusammen. »Sieht so aus. Was’n los?«
»Das wird sich für dich ziemlich abgefahren anhören. Echt... weit hergeholt.«
Ich weiß, was er jetzt sagen wird.
»Hast du geträumt?«, frage ich.
Er stößt einen bebenden Seufzer aus. »Ja. Von diesem... diesem Ding, du weißt schon...«
»Ich weiß.«
»Es war hinter uns her«, sagt er mit zittriger Stimme.
»Ich weiß, ich war dabei.« Ich reibe mir die Augen. »Das Ganze gefällt mir nicht.«
»Was soll ich denn sagen? Wieso musstest du mich in den Abgrund stoßen?«
»Aber es hat doch funktioniert, oder nicht?«
Howie lacht, leise und nervös. »Ja. Aber nächstes Mal warne mich bitte vorher, okay?«
Wir schweigen beide nachdenklich.
»Was zum Teufel geht hier vor?«, frage ich ihn und mich. »Werde ich jetzt verrückt oder was?«
»Ich bin’s schon längst.«
Ich starre auf meine Hand und reibe mir mit dem Daumen über den blauen Punkt, als könnte ich ihn wegwischen.
»Erinnerst du dich noch an Ray Dyson?«, fragt Howie aus dem Nichts heraus.
»Klar, was ist mit ihm?«
»Na ja, ich hab mir überlegt... Vielleicht hat er ja das Gleiche durchgemacht wie wir.«
Ich zögere. »Aber Ray wurde doch von einem Hund gebissen, oder nicht? Einem tollwütigen Hund.«
»Das weiß niemand so genau. Es gibt doch nichts als Gerüchte. Ich hab gehört, die haben keine Bisswunden an ihm gefunden. Deswegen haben sie erst geglaubt, er denkt sich das alles nur aus. Bis die ersten Symptome auftraten.«
»Was für Symptome?«
»Du hast doch gehört, was spekuliert wurde. Tollwut. Das West Nil Virus. Borreliose. Oder was ganz anderes.«
Ich denke an das Zeitungsfoto von Ray, wie er mitten in der Nacht im Schlafanzug aus dem Krankenhaus rennt.
»Weißt du noch, bevor er durchgedreht ist und sie ihn ins Krankenhaus gesteckt haben?«, sagt Howie. »Als ich ihn auf dem Klo getroffen hab, war er im Delirium. Er hat ständig nur gesagt, er hätte gedacht, er sei davongekommen, aber es habe ihn wohl nur in dem Glauben gelassen. Und würde jetzt wiederkommen, um ihn sich zu holen.«
» Es? Was zum Teufel ist das für ein Ding?«
Howie antwortet nicht.
Ich habe eine Million Fragen.
Zum Beispiel: Wohin ist Ray gelaufen? Hat
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