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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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war.«
    Mir fällt auf, dass die Kurve in den letzten Jahren anders aussieht als vorher. Die Lücken zwischen den Spitzenwerten sind größer, die waagerechten Abschnitte länger. Wie ein sich verlangsamender Herzschlag.
    Ich zeige mit dem Finger darauf. »Meinst du, die Bestie macht jetzt langsamer als früher?«
    Howie schüttelt den Kopf. »Ich glaube eher, das liegt daran, dass die letzten zwanzig Winter so mild waren wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Globale Erwärmung, warme Winter und so weiter.«
    »Warm?« Pike deutet mit dem Kopf auf das offene Fenster, durch das die polare Luft hereinbläst. »Im Moment hätte ich gegen ein bisschen globale Erwärmung nichts einzuwenden.«
    »Es geht um den langfristigen Vergleich zu früher«, sagt Howie. »Heutzutage taut es meist früher. Das Eis ist dünner. Vor ein paar Jahren gab es einen Winter, da ist der See nicht
mal ganz zugefroren. Vor hundert Jahren konnte man noch bis Ende März Eisblöcke raussägen. Jetzt kann man meistens nicht mal mehr bis Ende Februar Schlittschuh laufen.«
    »Aber dieser Winter ist wieder kalt«, sage ich.
    »Ja, eiskalt. Genau so, wie es der Bestie gefällt. Und weil sie zwischen den Kältemahlzeiten so lange warten musste, ist sie verdammt hungrig geworden. Normalerweise verschwinden selbst in den härtesten Wintern nur wenige Kids. Aber dieses Jahr sind es schon drei Opfer - Ray, du und ich. Ich glaube, das Ding hat einen Mordshunger.«
    »Fressrausch«, sagt Pike.
    »Aber wenn das so ist«, wende ich ein, »wieso hat es uns dann laufen lassen?«
    Howie schüttelt den Kopf. »Daran arbeite ich noch.«
    Ich starre auf die Grafik, die Linie, die wie ein Herzschlag aussieht und die vermissten Teenager anzeigt. Eine Kurve, die nicht das Leben aufzeichnet, sondern den Tod.
    »Aber wo lebt es denn die restliche Zeit?«, fragt Ash. »Wenn nicht gerade Winter ist.«
    Howie zuckt mit den Schultern. »Vielleicht buddelt es sich irgendwo ein und verschläft die wärmere Jahreszeit. Wie eine Art Sommerschlaf. Da liegt es dann und wartet darauf, dass die Temperatur sinkt und es wieder rauskommen kann. Aber das ist nur Spekulation. Das hier hingegen...«, er klopft mit einem Finger auf die Grafik, »... sind Fakten. Der Beweis dafür, dass wirklich was im Gange ist.«
    Ash steht stöhnend auf und streckt den Rücken durch. »Ich weiß nicht, Howie. Ich sehe nur eine Zickzacklinie auf einem Stück Papier. Was ist das ganze andere Zeug hier?« Sie sieht
zu den Papieren hin, die Howie neben der Tastatur aufgestapelt hat.
    »Recherchearbeit. Ich hab mich in einen Bereich eingearbeitet, der sich Kryptozoologie nennt.«
    »Das Wort gibt’s doch gar nicht«, sage ich. »Das hast du dir nur ausgedacht.«
    »Hab ich nicht. Kryptozoologie. Das gibt’s wirklich. Es ist die Wissenschaft von mythologischen oder im Verborgenen existierenden Lebewesen. So was wie der Yeti oder Sasquatch.«
    Ich werfe ihm einen Blick von der Seite zu. Jetzt dreht er aber langsam echt ab. »Meinst du Bigfoot und so? Ich dachte, wir führen hier eine ernsthafte Unterhaltung.«
    »Mir ist es absolut todernst damit.« Er zieht ein Blatt aus dem Stapel und reicht es mir. »Das hab ich auf einer dieser Kryptozoologie-Seiten gefunden.«
    Das Bild ist ziemlich unscharf, eine grobe Zeichnung, auf irgendeine Steinoberfläche gekritzelt. Aber es lässt mich auf der Stelle erstarren.
    Die Bestie. Ich sehe die pralle Biegung der riesigen Pranken, den massigen Leib, die langen spitzen Klauen. Sie sieht den Betrachter direkt an. Die Zähne sind wie lange Dolche in dem wilden Grienen, zwei kurze Linien markieren die Nüsternschlitze. Und die hervorquellenden Augen sind riesige Kreise.
    »Das ist es!«, sage ich.
    Ash und Pike drängen sich an mich ran, um das Bild zu sehen.
    »Woher stammt das Bild?«, frage ich.
    »Es ist eine Felszeichnung aus einer alten Cree-Siedlung am Nordufer des Lake Simcoe«, erklärt Howie.

    Ich kann den Blick nicht von dem Ding abwenden. Selbst in dieser groben Ausführung lässt es mich erschauern.
    Die Bestie existiert. Sie existiert wirklich.
    Seltsam, dass es diesen Höhlencartoon gebraucht hat, damit ich wirklich daran glaube. Jetzt kaufe ich Howie seine ganzen wilden Theorien plötzlich ab. Die ganze Kraft, die ich in das Leugnen reingesteckt habe, verpufft angesichts dieses Beweisstücks .
    »Augenblick mal.« Etwas passt noch nicht. »Von wann stammt es? Diese Cree-Siedlung, wie alt war die?«
    Howie holt tief Luft. »Das Alter der Felszeichnung wird auf

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