Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
ärgerte.
Am nächsten Morgen weckte mich ein Presslufthammer mit einer Lautstärke, die mich beinahe das Gehör gekostet hätte. Ich warf mir etwas über und schaute zum Fenster hinaus. Drei Stockwerke unter mir gestalteten sechs Männer den Bürgersteig um. Anscheinend ein längerfristiges Projekt.
Toll.
Ich rief Mateo an, um ihn wissen zu lassen, dass ich wieder in Guatemala war und dass ich am Nachmittag ins FAFG-Institut kommen würde. Ryan wartete bereits, als ich die Lobby betrat.
»Wie haben wir geschlafen, Schnuckelchen?«
»Wie ein Stein.«
»Stimmung besser?«
»Was?«
»Du musst gestern Abend sehr müde gewesen sein.«
Galiano hupte.
Ich klappte meinen offenen Mund wieder zu, ging durch die Glastüren, überquerte den Bürgersteig und setzte mich auf den Vordersitz, sodass Ryan hinten Platz finden musste.
Auf der Fahrt zu Aida Peras Wohnung brachte Galiano uns im Fall Claudia de la Alda auf den neuesten Stand.
»An dem Abend, als Patricia Eduardo verschwand, war Gutiérrez in seiner Kirche und arrangierte Blumen für Allerheiligen.«
»Gibt ihm jemand ein Alibi?«
»Ungefähr ein halbes Dutzend Gemeindemitglieder, darunter seine Vermieterin, Señora Ajuchán. Ajuchán sagte, sie sei ihm nach Hause gefolgt, und schwört, er hätte nicht wieder weggehen können, zumindest nicht mit seinem Auto, weil sie das mit ihrem in der Auffahrt blockiert hätte.«
»Ein Komplize?«
»Ajuchán beharrt darauf, dass sie jedes Mal aufwacht, wenn Gutiérrez ihr Haus betritt oder verlässt.« Galiano bog nach links ab. »Sie beharrt außerdem darauf, dass der Kerl ein halber Heiliger ist. Würde keiner Fliege was zu Leide tun. Außerdem ein Einzelgänger. Keine Freunde.«
»Was habt ihr bei der Durchsuchung seines Zimmers gefunden?«
»Der verrückte Mistkerl hatte bestimmt vierzig Fotos auf dem Spiegel seiner Kommode. Angeordnet wie ein Altar. Mit Kerzen und allem.«
»Wie ist er dazu gekommen?« Ryan.
»Sagt, er hätte ihre Tugend und Reinheit bewundert.«
»Wer hat die Fotos aufgenommen?«
»Da bleibt er ein bisschen vage. Aber in seinem Schrank haben wir eine Kamera mit einem halb vollen Film entdeckt. Du kommst nie drauf.«
»Das Prinzesschen.«
»Bingo. Hat sie aus der Entfernung mit einem Tele aufgenommen.«
»Habt ihr ihn psychiatrisch untersuchen lassen?«, fragte ich.
Galiano bog noch einmal links ab und dann rechts in eine Straße mit zwei- und dreistöckigen Mietshäusern.
»Der Doktor sagt, er hat eine zwanghafte Fixierungsstörung, oder irgendein ähnliches Psychogewäsch. Erotomanie? Er konnte nicht anders, hatte wahrscheinlich nie vor, ihr was anzutun.«
»Claudia hat das sehr geholfen.«
Galiano fuhr an den Randstein, stellte die Automatik auf Parken und wandte sich uns zu.
»Was ist mit Patricia Eduardo?«, fragte Ryan.
»Gutiérrez sagt, er habe Patricia Eduardo nie gesehen, sei nie in der Zona Viva oder dem Café San Felipe gewesen und habe nie von der Pension Paraíso gehört. Er schwört, dass Claudia de la Alda der einzige Mensch gewesen sei, den er je geliebt habe.«
»Der einzige Mensch, den er je umgebracht hat.« Ryans Stimme war hart vor Verachtung.
»Ja.«
»Glaubst du ihm?«, fragte ich.
»Hijo de la gran puta. Er hat drei Lügendetektor-Tests überstanden.«
Galiano drehte sich um und deutete mit dem Kinn auf ein heruntergekommenes Gebäude am anderen Ende der Straße. Bröckelnder, rosafarbener Stuck. Blutrote Tür. Dösender Penner. Graffiti. Fast künstlerisch wertvoll. Zwei plus.
»Pera teilt sich eine Wohnung im zweiten Stock mit einer älteren Cousine.«
»Ist sie jetzt nicht in der Arbeit?«
»Als ich sagte, ich würde vorbeikommen, hat sie sich den Tag freigenommen. Wollte ihren Chef nicht verärgern.«
»Wollte sie nicht wissen, warum du mit ihr reden willst?«, fragte ich.
Galiano machte ein überraschtes Gesicht. »Nein.«
Wir stiegen aus. Beim Zuschlagen der Autotüren rutschte der Penner am Stuck entlang und streckte sich auf der Eingangstreppe aus. Als ich über ihn trat, bemerkte ich, dass sein Reißverschluss nur halb hochgezogen war.
Oder halb heruntergezogen. Dürfte wohl eine Frage des Standpunkts sein.
Die Eingangshalle war knapp zweimal zwei Meter groß und roch nach Urin. Der Boden war schwarzweiß gefliest.
Die Namen Pera und Irias standen in Druckbuchstaben auf einem Stück Pappkarton, das im Sichtfenster von einem der sechs Briefkästen steckte. Galiano drückte auf die Klingel. Sofort meldete sich über die Gegensprechanlage
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