Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
waren im Hochland.«
»Waren?«
»Die Grabungen sind abgeschlossen. Jetzt ist alles im Labor in Guatemala City.«
»Wie viele?«
»Dreiundzwanzig. Wie’s aussieht, vorwiegend Frauen und Kinder.«
»Schlimm.«
»Es kommt noch schlimmer.«
»Ich höre.«
Ich erzählte ihm von Carlos und Molly.
»Mein Gott, Brennan. Pass da unten bloß auf dich auf.«
»Es kommt noch viel schlimmer.«
»Erzähl.« Ich hörte, wie ein Streichholz angerissen, dann Rauch ausgeblasen wurde.
»Die Behörden hier glauben, dass sich in Guatemala ein Serienkiller tummelt. Sie haben um meine Hilfe bei einer Bergung gebeten.«
»Gibt’s keine Spezialisten vor Ort?«
»Die Überreste waren in einem Faultank.«
»La spécialité du chef.«
»Ich habe das ein paar Mal gemacht.«
»Wie hat’s denn diese Perle bis nach Zentralamerika geschafft?«
»Ich bin in der Welt nicht ganz unbekannt, Ryan.«
»Lebenslauf im Web?«
Konnte ich ihm von der vermissten Tochter des Botschafters erzählen? Nein. Ich hatte Mateo volle Vertraulichkeit zugesagt.
»Ein Detective hat einen meiner Artikel im JFS gesehen. Das überrascht dich vielleicht, aber einige Polizisten lesen Artikel, die nicht mit ausklappbaren Fotos in der Mitte geschmückt sind.«
Ein langes Ausatmen. Ich stellte mir vor, wie Rauch aus seiner Nase quoll wie aus den Nüstern eines Geisterbahndrachens.
»Außerdem gibt es möglicherweise eine Verbindung nach Kanada.«
Wie üblich hatte ich den Eindruck, ich würde meine Handlungen vor Ryan rechtfertigen. Wie üblich machte mich das gereizt.
»Und?«
»Und heute haben wir ein Skelett entdeckt.«
»Und?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
Er schien in meiner Stimme etwas zu hören.
»Was beschäftigt dich?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Passt das Opfer zum Profil?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Hast du denn keine vorläufige Untersuchung durchgeführt?«
»Nein.« Wieder das nagende schlechte Gewissen. »Und wahrscheinlich werde ich auch nie eine durchführen können.«
»Ach so?«
»Der Bezirksstaatsanwalt hat die Knochen konfisziert.«
»Damit ich das richtig verstehe: Diese Bauerntrampel lassen dich in die Scheiße steigen, dann legt der Staatsanwalt ein Papier vor und macht sich mit der Beute aus dem Staub?«
»Die Polizisten konnten nichts dagegen unternehmen.«
»Hatten die nicht ihre eigenen Papiere?«
»Das ist ein ganz anderes Rechtssystem. Ich habe nicht groß nachgefragt.« Meine Stimme war wie Eis.
»Ist wahrscheinlich nur ein kleines Versehen. Der Leichenbeschauer ruft dich sicher gleich morgen früh an.«
»Unwahrscheinlich.«
»Warum?«
Ich suchte nach einem taktvollen Weg, Díaz zu beschreiben. »Sagen wir einfach, es gibt Widerstände gegen Hilfe von außen.«
»Was ist mit der Verbindung nach Kanada?«
Ich stellte mir den Schädel vor.
»Zweifelhaft. Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Mein Gott, Brennan –«
»Sag’s nicht.«
Er tat es trotzdem.
»Wie reitest du dich nur immer in solche Sachen?«
»Sie haben mich gebeten, die Knochen aus dem Tank zu bergen«, blaffte ich. »Und das habe ich getan.«
»Welcher Trottel hatte die Verantwortung?«
»Was hat denn das damit zu tun?«
»Vielleicht nominiere ich ihn für den Blödmann des Jahres.«
»Sergeant-Detective Bartolomé Galiano.«
»SICA?«
»Ja.«
»O Mann.«
»Was?«
»Gesicht wie eine Bulldogge, Augen wie ein Guernsey-Rind?«
»Sie sind braun.«
»Bat.« Es war fast ein Aufjauchzen.
»Was?«
»An Bat habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht.«
»Ich verstehe kein Wort, Ryan.«
»Bat Galiano.«
Galiano hatte gesagt, er hätte einige Zeit in Kanada gelebt.
»Du kennst Galiano?«
»Ich war mit ihm auf der Schule.«
»Galiano war in St. F.X.?«
St. Francis Xavier, Antigonish, Nova Scotia. Die kleine Universitätsstadt war die Bühne für viele von Ryans schrilleren Vorstellungen. Dann schlitzte ihm ein zugekokster Biker mit dem abgeschlagenen Hals einer großen Budweiser-Flasche die Halsschlagader auf. Nach vielen Stichen und ernsthafter Selbstbetrachtung wechselte Ryan die Seiten. Statt mit Schnaps und Bars hielt er es nun mit den Jungs in Blau, und er hat es nie bereut.
»In meinem Abschlussjahr hatte Bat seine Bude mir direkt gegenüber. Ich machte mein Examen und ging zur SQ. Er schloss ein Semester später ab und kehrte nach Guatemala zurück, um Polizist zu werden. Ich habe seit Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen.«
»Warum Bat?«
»Tut nichts zur Sache. Aber räum deinen Terminkalender frei. Du
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