Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Die de la Aldas sind Stammkunden.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst.«
»Was sagt er?«
»Nicht viel. Im Augenblick spricht er mit seinem Priester.«
»Und?«
»Ich glaube, dass das fünfte Gebot zur Sprache kommt. Derweil durchsucht Hernández seinen Wohnwagen.«
»Irgendeine Verbindung zum Paraíso oder Patricia Eduardo?«
»Soweit wir wissen nicht. Gibt’s was Neues bei dir?«
Ich berichtete ihm von der Katzenhaarprobe und der Schädelrekonstruktion.
»Nicht schlecht, Brennan.«
Genau das würde Ryan auch sagen.
»Erzähl mir, was dabei herauskommt.«
Am Nachmittag putzte ich die Wohnung und wusch Wäsche. Dann zog ich meine Turnschuhe an und ging ins Fitness-Studio. Während ich drei Meilen auf dem Laufband abspulte, bestimmten zwei Namen meine Gedanken.
Ryan und Galiano.
Galiano und Ryan.
Meine Wut war zwar seit dem vergangenen Abend, als ich Ryan mit einem eisigen Abschied hinauskomplimentiert hatte, ein wenig verraucht, aber vorhanden war sie immer noch.
Warum?
Weil er und sein College -compadre über mich gesprochen hatten wie über den Bowling-Abend vom letzten Mittwoch.
Ryan und Galiano.
Galiano und Ryan.
Hatten sie es wirklich?
Natürlich hatten sie.
Oder bildete ich mir das nur ein?
Was hatten sie gesagt?
Ich erinnerte mich an einen Vorfall mit Ryan. Auf einem Boot. Ich trug ein T-Shirt, abgeschnittene Jeans und keine Unterwäsche.
O Gott.
Galiano und Ryan.
Ich lief, bis meine Lunge brannte und meine Beinmuskeln zitterten. Als ich dann in die Dusche stieg, hatte meine Wut den roten Bereich verlassen.
An diesem Abend aß ich mit Susanne Jean im Le Petit Extra an der Rue Ontario. Sie hörte meiner Geschichte über die beiden Kumpels zu, und dabei umspielte ein Lächeln ihre Mundwinkel.
»Woher weißt du, dass ihre Unterhaltung nicht rein beruflich war?«
»Weibliche Intuition.«
Die zarten Brauen hoben sich. »Das ist alles?«
»Und die Theorie, dass alle Männer Schweine sind.«
»Und die ist nicht sexistisch?«
»Natürlich ist sie das. Aber sonst habe ich ja kaum was.«
»Entspann dich, Tempe. Du bist überempfindlich.«
Tief in mir hatte ich das auch schon befürchtet.
»Außerdem, nach dem, was du mir erzählt hast, haben sie ja nichts zu vergleichen.«
»Nach meiner Theorie malen Sie es sich aus.«
Sie lachte ihr volles, kehliges Lachen.
»Freundin, du verrennst dich.«
»Ich weiß. Wie geht’s dem Schädel?«
Susanne hatte die CT-Scans konvertiert, und das Modell würde montags um vier fertig sein.
Als wir uns verabschiedeten, deutete sie mir mit langem Finger mitten zwischen die Augen.
»Schwester, du brauchst mal wieder ‘ne richtige Nummer.«
»Dazu fehlt mir der Nummernjunge.«
»Wie’s klingt, hast du einen zu viel.«
»Hm.«
»Wie wär’s mit ‘nem Bill?«
»Okay, du hast mich. Was ist ein Bill?«
»Batterieinduzierter Liebeslümmel.«
Susanne zeigte oft eine interessante Lebenseinstellung.
Am Sonntag erhielt ich einen Anruf von Mateo Reyes. Der Leiter der FAFG berichtete mir von guten Fortschritten bei den Opfern aus Chupan Ya. Nur neun Skelette waren noch unidentifiziert. Ich sagte ihm, die Specter-Sache sei unter Kontrolle und dass ich zurückkommen würde, sobald ich meine Fälle hier in Montreal abgeschlossen hätte.
Mateo gab eine Bitte von Ollie Nordstern weiter. Der Reporter hatte täglich angerufen und wollte dringend mit mir sprechen. Ich blieb unverbindlich.
Gute Nachrichten hatte Mateo über Molly Carraway. Die Archäologin war aus dem Krankenhaus entlassen worden und kehrte mit ihrem Vater nach Minnesota zurück. Eine vollständige Genesung wurde erwartet.
Mateo hatte aber auch eine traurige Nachricht. Señora Ch’i’p war Freitagnacht im Schlaf gestorben. Die Oma aus Chupan Ya war einundsechzig geworden.
»Weißt du, was ich glaube?« Mateos Stimme klang ungewöhnlich angespannt.
»Was?«
»Die alte Dame wollte nur noch erleben, wie ihre Kleinen ein anständiges Begräbnis erhalten.«
Ich stimmte ihm zu.
Beim Auflegen spürte ich, wie es mir warm die Wangen hinuntertröpfelte.
»Vaya con Dios, Señora Ch’i’p.«
Ich wischte mit dem Handrücken eine Träne weg.
»Wir kümmern uns jetzt darum.«
Die Knochen des Torsos lagen noch immer im Einweichbad, als ich am Montag ins Labor kam. Die morgendliche Besprechung war überraschend kurz, nach dem Wochenende lagen nur drei Fälle vor: eine Messerstecherei in Laval, ein Traktorunfall in der Nähe von St. Athanase, ein Selbstmord in Verdun.
Ich hatte eben den
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