Knochenpfade
gab. “Was genau hat dir mein Boss erzählt?”
“Ich möchte dir nicht den genauen Wortlaut wiedergeben, denn ich gebrauche solche Ausdrücke nicht in Gegenwart einer Dame. Im Großen und Ganzen lief es wohl darauf hinaus, dass er meinte, du hättest es vermasselt. Du hättest es nicht vorausgesehen.”
“Ich habe es nicht vorausgesehen?”
Maggie konnte es kaum fassen. Was erlaubte Kunze sich, sie für das unvorhersehbare Verhalten eines Killers verantwortlich zu machen? Und das auch noch anderen Leuten gegenüber zu äußern, die nicht zum FBI gehörten! Was kam als Nächstes? Würde er behaupten, es wäre wegen ihrer Unachtsamkeit gewesen, dass er seine Waffe dreimal auf den Killer abfeuerte? Der erste Treffer hätte vollkommen ausgereicht, um ihn unschädlich zu machen. Maggie begann sich zu fragen, ob Kunze dem Killer das Hirn einfach deshalb rausgeblasen hatte, damit Maggie auch noch ihren Teil davon abbekam.
“Hat er dir überhaupt erzählt, was passiert ist?”
“Vielleicht solltest du mir das lieber sagen.”
“Oder besser, dir meine Version davon liefern. Meinst du das?”
“Hey, ich bin auf deiner Seite, O’Dell.” Er hob abwehrend die Hände und ließ sie dann wieder aufs Lenkrad zurückfallen. “Wenn ich Kunze auch nur ein Wort abkaufen würde, dann würdest du jetzt nicht mit mir zusammen diese Fahrt machen.”
“Du hast recht. Tut mir leid.”
“Weißt du was, eigentlich ist es auch vollkommen egal, was vorgefallen ist. Du hast doch den Scheißkerl gefunden, oder etwa nicht? Und jetzt ist er aus dem Verkehr gezogen. Von dem, was ich letzte Woche in der Zeitung gelesen habe, gab es ja in diesem Fall auch ein paar abgetrennte Körperteile.”
Sie wartete schon darauf, dass er die gleiche Feststellung machte wie Tully – dass sie irgendwie schon Spezialistin für Mörder wurde, die ihre Opfer zerstückelten. Wurth sah sie an.
“Was mich betrifft”, sagte er, “hast du uns allen damit einen Gefallen getan.”
Maggie lehnte sich jetzt etwas entspannter in die riesige Sitzschale zurück und zog einen ihrer nackten Füße unter sich. Sie blickte aus dem Fenster, während sie in Gedanken wieder bei der bizarren Schießerei von gestern war. Sie hatten … Nein, das stimmte nicht ganz. Sie hatte dem Killer nachgespürt und seine Folterkammer gefunden – in einem verlassenen Lagerhaus auf der anderen Seite des Potomac.
Maggie musste dabei sofort wieder an einen anderen Mörder denken, den sie vor langer Zeit dingfest gemacht hatte. Manchmal fürchtete sie, dass all die Killer, mit denen sie im Laufe der Jahre in Berührung gekommen war, zu einem verschmolzen. Es kümmerte sie nicht, dass A.D. Kunze den Mann gestern mit drei Kugeln erschossen hatte. Sie war mit Wurth einer Meinung. Letztendlich existierte nun ein Ungeheuer weniger, das seine unschuldigen Opfer quälte. Wenn sie nicht vorausgesehen hatte, dass er dort sein würde – wen störte das?
Sie hatte tief genug in seine Psyche eintauchen können, um herauszufinden, wo er sich versteckte, wo er sein dreckiges heimliches Zweitleben führte. Sollte das nicht ausreichen? Warum erwartete Kunze, dass sie Gedanken las? War ihm nicht klar, wie viel näher sie dem Abgrund rückte, wenn sie noch tiefer grub? Vielleicht war es ja auch genau das, was Kunze wollte. Ein bisschen schubsen, um zu sehen, ob sie fiel?
13. KAPITEL
Pensacola Beach
Liz Bailey kippte ihr drittes Red Bull hinunter. Sie überprüfte die Flugausrüstung, prüfte noch einmal und legte alles an seinen Platz. Sie hatte bereits die medizinische Ausstattung kontrolliert, war Stück für Stück durchgegangen, obwohl sie gestern gar nichts benutzt hatten. Sie langweilte sich. Nein, noch schlimmer. Sie wartete in dem Wissen, dass es die Ruhe vor dem Sturm war. Sie musste hellwach bleiben, während sie hier festsaß und wartete.
In ihrer Einsatzbesprechung heute Morgen hatte man ihnen gesagt, sie sollten sich darauf vorbereiten, für den Rest der Woche in Bereitschaft zu sein. Von ihrem Standort aus konnte sie die Wellen sehen, die sich am Uferdamm peitschend aufbäumten. Schon vor ihrer Ankunft hatten sich da draußen Surfer getummelt. Sie wusste, dass sie so lange dort bleiben würden, bis die Polizei alles abriegelte und ihnen befahl, den Strand zu verlassen. Und natürlich würden sie sich darüber beschweren, mit adrenalinverschleierten Augen. Solche Wellen gab es nun mal nur kurz vor einem Hurrikan.
In mehreren Hotels hatte man versuchsweise begonnen, die Gäste
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