Knochenpfade
auf eine Antwort. Das veranlasste Rita, sie nun ebenfalls anzublicken. Eins musste sie ihm lassen. Es wäre viel einfacher gewesen, einfach “Ja” zu sagen. Aber Charlie Wurth legte immer großen Wert darauf, dass man die Menschen in seiner Gesellschaft auch wahrnahm.
“Cola Light ist wunderbar”, sagte Maggie.
Sie wartete, bis die Kellnerin sich entfernt hatte, um sich in dem Café umzusehen. Dann lehnte sie sich zu Wurth vor.
“Woher kennst du die Leute alle?”
“Ich habe gestern hier einen Kaffee getrunken. Wenn man die Macher einer Gemeinde kennenlernen will, muss man sich an ihr Wasserloch begeben.”
Er unterbrach sich kurz, um zwei Frauen zuzuwinken, die gerade eintraten.
“Und glaub mir …” Er lächelte und lehnte sich ebenfalls vor. “Wenn ein Hurrikan droht, ist der Mann von der Bundesbehörde mit seiner Kavallerie sehr viel beliebter als Jim Cantore vom Wetterkanal. Es gibt bereits einige Anzeichen dafür, dass er sich zum Teufel noch mal lieber nicht hier sehen lassen sollte.”
“Wer ist Jim Cantore?”
Er legte den Kopf schief und sah sie an, als könne sie das nicht ernst meinen. “Das habe ich ganz vergessen, du bist ja ein Neuling, was Hurrikans betrifft. Bei den letzten paar Stürmen war es so, dass der Hurrikan immer dort eintraf, wo sich Cantore aufhielt. Entweder hat er die unheimliche Gabe des zweiten Gesichts, oder er bringt Unglück. Wie auch immer, niemand will ihn hier sehen.”
“Ist er denn hier?”
“Wenn er noch nicht da ist, wird er bald eintreffen. Es sieht so aus, als wäre der Panhandle genau Isaacs Ziel.”
Wurth lehnte sich wieder zurück, als er die Kellnerin kommen sah. Sie brachte Maggies Cola Light und eine Kanne mit dampfendem Kaffee, aus der sie Wurth einschenkte.
“Was kann ich Ihnen beiden denn bringen?” Diesmal wandte sie sich auch an Maggie.
“Ich hätte gern ein Omelett mit Käse und Pilzen.”
Die Kellnerin sah sie an, als erwarte sie noch weitere Wünsche. Schließlich sagte sie: “Das ist alles, Hase?”
“Du musst unbedingt noch Maisgrütze dazunehmen”, sagte Wurth. “Rita, bring ihr auch Maisgrütze. Ich möchte Rührei aus zwei Eiern, Würstchen, Weizentoast, Kartoffelpuffer und die Nassau-Maisgrütze.”
Kaum hatte Rita sie allein gelassen, hob Maggie die Augenbrauen.
“Was ist? Immerhin ist ein Hurrikan hierher unterwegs. Das könnte womöglich die letzte warme Mahlzeit sein, die ich vorerst bekomme”, rechtfertigte er sich.
Er blickte sich im Café um und lehnte sich wieder über den Tisch zu Maggie hinüber.
“Diesmal sieht es wirklich schlimm aus. Isaac ist wie ein Bulldozer über Kuba gefegt. Normalerweise wird ein Sturm langsamer, wenn er übers Festland kommt. Aber Isaac hat den Golf mit zweihundertfünfzig Sachen und als Kategorie fünf erreicht. Zwischen uns und dem Hurrikan liegt nichts, was ihn abbremsen könnte. Noch ein Tag über dem warmen Wasser, und dieses Monster legt noch weiter Dampf zu. Wenn der als Fünfer aufs Festland trifft, wird das brutal. Dann geht es nicht mehr nur um Schäden, die er anrichten kann, dann geht es um Verwüstungen.”
Maggie ließ kurz den Blick umherschweifen. Sie hatte die Ellbogen immer noch auf dem Tisch abgestützt, während sie den mit Kondenswasser benetzten Plastikbecher umfasste. “Ich bin etwas überrascht, dass hier niemand Angst hat oder in Panik ausbricht.”
“Oh, glaub mir, Angst haben sie alle. Gestern gab es überall lange Schlangen. Die Generatoren und Sperrholzplatten sind wohl inzwischen ausverkauft. Die Regale der Lebensmittelläden dürften leer geräumt sein. Man bekommt inzwischen kein Gefriereis oder Wasserflaschen mehr. Die Tankstellen sind bis auf den letzten Tropfen ausgepumpt oder zumindest fast. Aber diese Leute hier …” Wurth deutete unauffällig mit dem Kinn in den Raum. “Die passen auf sich und ihre Nachbarn auf. Sie kennen die Prozedur. Am Panhandle gab es bereits Anfang des Jahres ein paar tropische Stürme. Und mit drei Hurrikans, die das Festland von Florida erreicht haben, wissen sie, was auf sie zukommt.”
Noch einmal sah Wurth sich kurz um. “Jedenfalls die Hiesigen. Was die Zugezogenen betrifft – und davon gibt es eine Menge –, das sind diejenigen, die ich davon überzeugen muss, sich evakuieren und in Sicherheit bringen zu lassen. Im Laufe des Vormittags wird die Polizei den Notstand ausrufen. Du wirst sehen. So langsam sickert die Erkenntnis durch, dass der Sturm kommt. Dann zeigt sich die Angst. Die Stimmung wird
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