Knochensplitter
Psychologe runzelte die Stirn. »Aber ich unterrichte ja auch nur Studenten im Abschlussjahr, also …« Er blätterte die Mappe durch, die Logan ihm gegeben hatte, mit sämtlichen Vernehmungsprotokollen, den Vermerken der Universität und dem Material aus dem Polizeicomputer. »Hmm … Schon einmal als Stalkerin aufgefallen und einen Altar für Alison und Jenny McGregor in ihrem Zimmer –«
»Nein, nur für Alison.« Logan reichte ihm die Fotos von ihrem Zimmer, aufgenommen von den Constables, die sie abgeholt hatten: Beatrice Eastbrooks Schlafzimmerwand in all ihrer Schweigen-der-Lämmer -Pracht. »Gut, Jenny ist auch auf dem Gemälde und auf ein paar von den Fotos zu sehen, aber meistens ist es nur Alison. Und nur ihr hat sie einen Heiligenschein verpasst.«
»Also, das ist wirklich interessant …« Ein kleines Lächeln. »Die religiöse Ikonographie ist nicht das, was ich bei ihrer Vorgeschichte erwartet hätte. Gewöhnlich weist die Heldenverehrung bei Stalkern eher fetischistische Züge auf.« Er strich mit der Fingerspitze über den Bildschirm und fuhr die Konturen von Beatrice’ Gesicht nach. »Haben Sie sie verhaftet?«
»Sie ist freiwillig hier. Es ist nicht verboten, ein bisschen seltsam zu sein.«
»Nun, wenn das so ist …« Er gab Logan die Akte zurück. »Dann wollen wir die junge Dame doch nicht länger warten lassen.«
Es dauerte gerade einmal fünf Minuten, bis Logan komplett den Faden verloren hatte.
Beatrice beugte sich vor. »Im Grunde wird es in meiner Dissertation darum gehen, die Rolle von Sublimierung und Verdrängung in der Intimität-versus-Isolation-Phase der psychosozialen Entwicklung zu beleuchten, mit direktem Bezug zum Einfluss der Medien mit ihrem Fokus auf Prominenz.«
Goulding nickte. »Erikson und Freud, das finde ich gut. Haben Sie mal überlegt, auch Kohlbergs Konzept des egozentrischen Moralbewusstseins mit einzubeziehen?«
Sie lächelte. »Ja, das wäre sinnvoll. Die Celebrity-Kultur bietet viele Beispiele, die den negativen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die anerkannten Moralgesetze zuwiderlaufen.«
»Freut mich, wenn ich Ihnen helfen konnte.«
Logan verstand nur Bahnhof – aber was ihm nicht entging, war, dass Beatrice’ eigener Birmingham-Akzent immer stärker hervortrat, je länger sie sich mit Goulding unterhielt, quasi als Reaktion auf sein Liverpooler Idiom. Und zugleich klang sie immer weniger wie die gemeingefährliche Irre, die sie am Nachmittag vernommen hatten.
Goulding schlug die Mappe auf und nahm die Fotos von ihrem Zimmer heraus. »Nachdem wir nun einen Draht zueinander gefunden haben, Beatrice, möchte ich Sie gerne nach diesen Bildern hier fragen …« Er breitete sie auf der zerkratzten Tischplatte aus.
Sie begann wieder an ihrem Zeigefinger herumzupulen. »Ich weiß, Sie denken wahrscheinlich, dass ich von der Frau besessen bin, aber es … Ich würde sagen, sie ist einfach eine Inspiration für mich. Eine liebevolle Mutter, eine alleinstehende, unabhängige Frau – und dann ist sie auch noch eine supertalentierte Sängerin und macht einen Uni-Abschluss …« Beatrice griff nach einem der Fotos, einer Nahaufnahme des Aquarells mit dem Stanniol-Heiligenschein. »Die Menschen glauben an die merkwürdigsten Dinge, nicht wahr? Manche Stammesgesellschaften verehren einen Baum; die Scientologen glauben, dass wir alle von Außerirdischen abstammen; Mormonen, Anglikaner, Katholiken, Hindus, Muslime, Buddhisten – alle haben sie ihre kleinen Ticks.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich ziehe es vor, meinen Glauben in ein menschliches Wesen zu investieren. Kommt Ihnen das so sonderbar vor, verglichen mit dem Glauben an einen unsichtbaren, zauberkräftigen Mann, der alles sieht, was wir tun, und uns in alle Ewigkeit verdammen kann?«
»Halten Sie das für eine normale Reaktion?«
»Sie glauben, dass ich vielleicht mein Bedürfnis nach einer vorbildhaften Mutterfigur verlagere?«
Goulding lächelte. »Glauben Sie , dass Sie das tun?«
Und so weiter und so fort. Der Psychologe und die Psychologiestudentin – es war, als hörte man einer Selbsthilfegruppe für Marsianer zu.
Logan klopfte auf den Tisch. »Was hat Alison dazu gesagt, dass Sie ihr an ihrer Schlafzimmerwand einen Altar errichtet haben?«
Beatrice rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, während sie das Foto vor sich auf dem Tisch mit beiden Händen glattstrich.
»Wusste sie davon?«
»Sie … Sie ist mal vorbeigekommen, um sich ein Vorlesungsskript auszuleihen. Es klopfte an der
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