Knochensplitter
Granitfassade gepresst.
Nicht tot.
Ein dumpfes WUMM , und das Küchenfenster wurde herausgesprengt – ein Regen von Glassplittern ging auf Logan nieder, und eine Stichflamme loderte in die Nacht hinaus.
Er sah nach unten. Samantha war gut einen Meter unter ihm und stieg vorsichtig ab, wobei sie die Halteklammern, mit denen das Rohr an der Wand befestigt war, als Griffe und Tritte benutzte. Es war alles in Ordnung. Sie hatten es geschafft. Nur noch ein bisschen Klettern, und sie wären in Sicherheit.
Logans Blick trübte sich. Er blinzelte und spürte, wie ihm warme Tränen über die Wangen rannen.
Nicht loslassen.
Er ließ sich vorsichtig ein Stück herunter, tastete nach der nächsten Klammer.
Alles war okay.
Er sah nach unten. Genau im rechten Moment, um zu sehen, wie Samantha zu ihm aufblickte. Sie lächelte, und er sah die helleren Streifen in ihrem rußigen Gesicht. Wenigstens war er nicht der Einzige.
»Alles okay bei dir?«
Samanthas Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Hab’s dir doch gesagt.« Sie stieg vorsichtig noch ein Stück hinunter. »Dieses Essen, das du mir schuldest – ich will mal schwer hoffen, dass –«
Ein Knirschen. Das Rohr erzitterte. Ihre Augen weiteten sich. »Oh …«
Ein Scheppern, ein reißendes Geräusch, fast übertönt vom Prasseln der Flammen.
Das Stück Rohr, an dem sie hing, kippte nach rechts, die Klammer fiel ab und verschwand in der Dunkelheit. Samantha schnappte panisch nach dem Rest des Rohrs, der noch an der Wand befestigt war, doch ihre Finger griffen in die Luft.
37
»Logan …?«
Es geschah in Zeitlupe: Ihre Finger krallten ins Leere, als das Stück Rohr, an dem sie hinunterkletterte, aus der verrosteten Verankerung brach. Dann fiel sie, er sah ihre Arme rudern, sah ihre Beine in unsichtbare Pedale treten. Ihr Mund war zu einem kreisrunden »O« aufgerissen, und das Weiße in ihren Augen blitzte in ihrem rußverschmierten Gesicht auf.
Bruchstücke des kaputten Rohrs wirbelten um sie herum. Der Zipfel des Spannbetttuchs flatterte an ihrem Arm wie ein Wimpel.
Und dann ging alles wieder blitzschnell.
Sie krachte auf das Flachdach, drei Stockwerke tiefer, und brach glatt durch. Eine orangegraue Staubwolke wirbelte auf, hing eine Weile da und stieg dann an der Granitwand hinauf, angesogen durch das Temperaturgefälle.
» SAMANTHA !« Logan versuchte sich flach an die Fassade zu drücken, die Füße in die Klammer gedrückt, die letzte, bevor das Fallrohr abrupt endete. » SAMANTHA !«
Die Feuerwehrsirene kam näher, und zu ihrem Heulen gesellte sich das vertraute Oueeeeeiau eines Streifenwagens.
» SAMANTH A !«
Kotzebröckchen pladdern in eine rosa Plastikschüssel. Jenny krümmt sich und würgt noch einmal und macht die Schweinerei noch größer. So ein Happy Meal sieht gar nicht mehr so happy aus, wenn man es mal gegessen hat.
Es ist ganz düster im Zimmer, bloß ein Nachtlicht in der Steckdose, damit die Monster sie im Auge behalten können.
Sie spuckt, macht die Augen zu und legt ihren wummernden Kopf auf den Rand der Schüssel. Ihr Bauch fühlt sich an, als hätte jemand sie geboxt. Viel schlimmer als damals, als sie für die Fernsehleute abnehmen musste.
Niemand will ein dickes kleines Mädchen im Fernsehen anschauen, Schätzchen …
Sie greift nach der Wasserflasche, die neben ihr auf dem Boden liegt, zieht mit zitternden Fingern den kleinen Plastik-Nippel hoch und trinkt gierig. Es schmeckt süßer als Erdbeeren.
Mami liegt auf der Matratze, flach auf dem Rücken.
Jenny weiß, dass sie nicht schläft. Sie kann es an ihrem Atem erkennen. Mami liegt da, starrt an die Decke und wünscht sich, Papi wäre da.
Papi würde machen, dass alles besser wird.
Jenny fährt sich mit dem Handrücken über den Mund und wischt die schleimige Sauerei an ihrem Schlafanzug ab. Spült sich den Mund mit Wasser aus und spuckt es in die Schüssel. Dann tut sie den Deckel drauf, damit der Gestank drinbleibt. Sie macht die Augen zu, beißt die Zähne zusammen und zieht sich am Bett hoch wie an einem Klettergerüst. Steht schwankend auf ihren brennenden Füßen. Beißt sich auf die Oberlippe und kneift die Tränen weg.
Tapfere kleine Mädchen weinen nicht.
Aber sie will weinen. Sie will es so sehr, dass es mehr wehtut als ihre abgeschnittenen Zehen.
Jenny klettert auf die Matratze und kuschelt sich dicht an Mami, einen Arm um Mamis Bauch geschlungen, den Kopf in ihre weiche Armbeuge geschmiegt.
Eine kühle Hand streichelt ihre Stirn. »Hallo, du. Geht’s
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