Knochensplitter
zerfetztes linkes Hosenbein hoch und zeigte auf die drei parallelen Schorfstreifen. »Siehst du, du bist nicht der Einzige.«
Ricky zupfte einen losen Faden aus dem Handtuch, das Logan um die nackten Füße des Jungen gewickelt hatte. An den Sohlen begannen sich schon glänzende rote Flecken zu zeigen.
»Wo ist deine Mama, Ricky?«
Ein Achselzucken. »Weggegangen.«
Aha, er konnte also doch sprechen. »Weißt du, wohin sie gegangen ist?«
Er schüttelte den Kopf – es war kaum mehr als ein Zucken. »Sie hat gesagt, jemand hat Papas Hund totgemacht.«
»Shuggie Webster ist dein Papa?«
»Diese Woche.« Ein weiterer Faden wurde aus dem improvisierten Verband gelöst.
»Weißt du, wo er ist?«
»Mama wollte einkaufen gehen, Essen und so.« Eine Pause. »Verhaftest du mich jetzt?«
Logan lachte gequält. »Wieso sollte ich das tun?«
»Oma sagt, das macht ihr Bullenschweine so. Ihr verhaftet Leute, die wo gar nix gemacht haben.«
»Nein, Ricky, ich verhafte dich nicht.« Er hielt ihm die Limodose hin. »Hat deine Mama gesagt, wann sie wiederkommt?«
»Oma sagt, ihr verhaftet die Leute, und dann fickt ihr sie in den Arsch. Weil, ihr seid alle Pädos und Schwuchteln.«
»Tja, deine Oma scheint ja ein richtiger Scherzkeks zu sein.« Logan zog den Ringverschluss ab und nahm einen Schluck aus der Dose. »Deine Mama und dein Papa sind mit ein paar sehr bösen Leuten aneinandergeraten, Ricky. Ich kann ihnen helfen, aber dazu muss ich wissen, wo sie sind.«
Schweigen.
»Willst du nicht, dass deine Mama und dein Papa keine Angst mehr haben müssen?«
Ricky zog seine Füße ein Stück zur Seite und hinterließ einen roten Streifen auf dem Bettzeug.
»Okay, gut, wenn du dir ganz sicher bist.« Logan kippte noch einen Schluck Irn-Bru und stellte die Dose wieder auf den Boden. »Also, ich kenne da einen netten Doktor, der kann dich wieder gesund machen, und dann wollen wir mal sehen, ob wir jemanden finden, der sich um dich kümmert.«
»Sie kommt wieder und holt mich.«
»Ich hab ja gar nicht behauptet, dass sie das nicht tut.«
»Hat sie mir gestern Abend gesagt.«
»Tja, also, wir …« Er runzelte die Stirn. »Gestern Abend? Du bist seit gestern Abend allein hier? Im Kleiderschrank?«
»Sie hat gesagt, sie kommt wieder, wenn es nicht mehr gefährlich ist.«
Und die Kandidatinnen für den Titel »Mutter des Jahres« sind …
Logan stand auf. »Meinst du, du kannst gehen, oder soll ich dich huckepack nehmen?«
Ricky schaute zu ihm auf und drehte sich gleich wieder weg. Seine Finger krallten sich in den Bettbezug. »Fickst du mich dann auch in den Arsch?«
»Hatte ich nicht unbedingt vor, nein.«
Ein Nicken. »Also, kannst du mich dann tragen?«
Logan klopfte an den Türrahmen. Der Lack war rissig und blätterte ab, und ein dicker grauer Strich in halber Höhe markierte die Stelle, wo unzählige Rollbahren beim Durchfahren dagegengerumpelt waren. »Bedienung!«
Das Leichenschauhaus war fast doppelt so groß wie das im Keller des Präsidiums und wirkte mit seinen blitzblanken blau-weißen Fliesen wie ein Schwimmbad. Auf einem Regal bei den Kühlfächern stand eine kleine Stereoanlage, und die Klänge von Dr. Hooks Sexy Eyes hallten leicht in dem antiseptischen Raum.
»Hallo?« Ein Kopf erschien in einer Tür am anderen Ende des Raums, und rote Locken wippten, als die zugehörige Frau einen Mopp und einen Eimer in den Sektionssaal rollte. Ihre weißen OP -Clogs quietschten auf dem Fliesenboden. »Sergeant McRae – lange nicht gesehen. Abholung oder Lieferung?«
»Müssen Sie jetzt schon selbst den Boden wischen? Sind Sie dafür nicht ein bisschen überqualifiziert?«
»Fred ist krankgeschrieben, also müssen wir alle mit anpacken.« Die Rechtsmedizinische Assistentin zog den Mopp aus dem Eimer und klatschte ihn auf die Fliesen. Kleine Rinnsale bildeten sich in den Fugen. »Was macht Sheila? Beschwört sie immer noch den Geist von Vincent Price?«
»Noch drei Wochen.« Er humpelte auf sie zu. »Ich wollte Sie etwas fragen.«
»Was ist denn mit Ihrem Bein passiert?«
»Ein Rottweiler. Hören Sie, ich habe nicht viel Zeit – haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Kinderleichen reinbekommen? Mädchen, so zwischen vier und acht Jahre alt?«
»Ich hatte eine Nachbarin mit einem Rottweiler; ein richtiger Kaventsmann, aber total lieb. Hat ihr das Herz gebrochen, als er Krebs bekam.« Die RMA steckte den Mopp wieder in den Plastikeinsatz des Eimers und drückte das Schmutzwasser aus. »Schwingen Sie sich
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