Knochensplitter
brauchst ärztliche Hilfe, Mann. Oder besser noch einen Korken.«
»Besser draußen als drin, wie meine Oma immer sagte.« Er stand da und starrte zu der seelenlosen Ansammlung von stalinistisch anmutenden Betonklötzen hinauf. Dann biss er sich auf die Oberlippe. »Möchtest du nicht zufällig mit mir reingehen? Ich hasse Selbstmorde, echt.«
»Ich dachte, ihr hättet die Leiche gestern schon abgeholt?«
»Schon, aber …« Er zog die Schultern unter seinem glänzenden grauen Jackett hoch. »Mord ist eine Sache – etwas Schreckliches ist passiert, und wir schnappen den kranken Mistkerl, der es getan hat. Wir sorgen dafür, dass dem Opfer Gerechtigkeit widerfährt. Aber bei Selbstmord sind Mörder und Opfer ein und dieselbe Person.« Er schniefte. »Erzähl mir nicht, dass das nicht unheimlich ist. Und auch verdammt deprimierend.«
Das Zimmer war nicht sehr groß – gerade genug Platz für ein Einzelbett, einen Einbauschrank, einen kleinen Tisch und einen Stuhl. Die zwei Regalbretter über dem Schreibtisch waren mit zerfledderten Medizin-Lehrbüchern beladen, die Wände mit den üblichen Monet-, Klimt- und Star-Wars -Postern geschmückt. Auf dem Boden neben dem Bett lag ein Exemplar des For Men Magazine. » KAREN ZIEHT BLANK! IST ZUFÄLLIG EIN ARZT ANWESEND ?«
Durch das kleine Fenster konnte man den nächsten Block des Studentenwohnheims sehen. Graubraun und eintönig und leblos.
»Bruce Sangster, einundzwanzig. Hat sich mit Highland Park volllaufen lassen, sich anschließend eine Überdosis Morphium gespritzt und dann eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Ist nicht mehr aufgewacht.« Bob vergrub die Hände in den Achselhöhlen. »Einundzwanzig Jahre alt, und dann tut er sich so was an. Was für eine elende Vergeudung.«
Whisky, Opiate und Erstickung. Das war kein Hilfeschrei – wovor Bruce Sangster auch immer davongelaufen war, er hatte mehr als sichergestellt, dass es ihn nicht einholen würde. Wie konnte das Leben eines Menschen so schlimm sein, dass er es einfach wegwarf?
Bob schauderte. »Er wollte Arzt werden …«
Medizinische Fachbücher und Männermagazine waren nicht die einzige Lektüre im Zimmer. Es gab auch einen kleinen Stapel mit Heat , Hello! , Now und OK ! : » ALISONS DUNKLES SCHULMÄDCHEN-GEHEIMNIS: ›ICH HAB’S ALS TEENAGER RICHTIG KRACHEN LASSEN‹, GESTEHT BNBS -HALBFINALISTIN .«
DI Steel hatte die Schlagzeile wortwörtlich zitiert. Irgendwie beunruhigend.
Logan griff nach der Zeitschrift und überflog all die Fotos von Menschen mit Zahnpastalächeln und Studiobräune, von Velourstapeten und Kronleuchtern, bis er zu dem von Alison McGregor kam. Sie saß in ihrem Wohnzimmer und starrte ins Leere, in der Hand das gerahmte Portrait von Doddy in seiner Uniform. Makellose Frisur, perfektes Make-up, bekleidet mit einem Seidentop, das es fertigbrachte, zugleich seriös und freizügig zu wirken.
Kein Zweifel, sie war eine sehr attraktive Frau. Sehr, sehr attraktiv.
Der Artikel schien sich darum zu drehen, dass sie alles, was Vicious Vikki ihr vorgeworfen hatte, einräumte. Und noch mehr. Sie hatte über die Stränge geschlagen, weil ihre Pflegeeltern auf der emotionalen Ebene nicht an sie herankamen, was auch immer das nun wieder heißen sollte. Dann hatte sie Doddy kennengelernt und endlich begriffen, dass sie eigentlich gar nicht so schrecklich war und dass das Leben mehr zu bieten hatte als Saufen, Rauchen und Buswartehäuschen Demolieren. Dann wuchs das kleine Wunder namens Jenny in ihrem Bauch heran, dann kam die Tragöde mit Doddys Eltern, eine Märchenhochzeit, die Geburt …
Jugendliche Rabaukin krempelt ihr Leben um, verwandelt sich in liebende Ehefrau und treusorgende Mutter, Doddy stirbt im Irak, Alison nimmt an Britain’s Next Big Star teil, um sein Andenken zu ehren, und der Rest ist Geschichte.
Noch mehr Fotos von Alison und Jenny zu Hause, und dann … Logan runzelte die Stirn. Die nächsten zwei Seiten klebten zusammen. Sie lösten sich mit einem reißenden Geräusch voneinander, und er erblickte eine Aufnahme von Alison am Strand. Sie trug einen Bikini und lächelte in die Kamera, eine Hand hinter dem Kopf, während Jenny zu ihren Füßen eine Sandburg baute. Kleine Fetzen der gegenüberliegenden Seite klebten an Alisons Bauch, Brust und Gesicht.
Bob tauchte hinter Logan auf. »Da ist wohl jemand ein bisschen in Wallung geraten …«
Logan warf die Zeitschrift in den Papierkorb. »Was geht bloß in den Köpfen von diesen Leuten vor?«
»Nun sei mal nicht so
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