Knochenzeichen
misstraute. »Du bist also kein so großer Kavalier. Aber du hast mir ein Sandwich vorbeigebracht, weil du dir gedacht hast, dass ich noch nichts gegessen hätte.«
Er zuckte verlegen die Achseln. »Ich hatte Hunger und dachte mir eben, du hast vielleicht auch Hunger. Du musst bei Kräften bleiben. Andauernd mit einem einzigen Satz von hohen Gebäuden zu springen verbraucht doch sicher viel Energie.«
»Du bist ein netter Kerl, Sharper. Das wird deinem Draufgänger-Image massiv schaden, aber im Grunde deines Herzens bist du ein netter Kerl.«
»Na ja …« Er rollte mit den Schultern, da ihm die Wendung des Gesprächs nicht recht behagte. »Das darf sich aber nicht herumsprechen. Im Grunde sorge ich mich nämlich nur um die Ernährung dünner Exmodels, die zu Wissenschaftlerinnen mutiert sind und aussehen, als könnte ein einziger Windstoß sie umpusten. Und das auch nur am vierten Freitag des Monats, wenn zuvor alte Knochen aus einer heißen Quelle geborgen worden sind.«
»Sehr spezifische Bedingungen.«
»Ich bin kein Weichei.«
»Das würde auch kein Mensch je behaupten.« Zu seiner Überraschung lehnte sie sich nun auf der Motorhaube zurück und blickte zu den rußigen Wolkenfingern empor, die die Sterne auch dann verdeckt hätten, wenn sie sich überhaupt gezeigt hätten. »Heute hat es einen Durchbruch gegeben. Ich kann dir nicht mehr als das verraten, aber … wir haben eine Spur. Etwas Handfestes.«
Er hielt mitten im Abbeißen inne. Cait hielt sich normalerweise dermaßen bedeckt, dass das wenige, was er über die Ermittlungen wusste, daher stammte, was er bei ihren Telefongesprächen oder in den Nachrichten gehört hatte. Dass sie ihm auch nur so viel mitteilte, rührte ihn irgendwie. Mehr, als es hätte tun sollen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass dir durchweichte Knochen so viel sagen.«
»Wir müssen abwarten, was sie mir sagen, nachdem sie getrocknet sind.« Sie wandte sich um und sah ihn von ihrer erhöhten Position aus an. »Andrews hat gesagt, die Frauen auf deiner Tour hätten sie gefunden.«
»Ja.« Er stieß einen Seufzer aus und rief sich die Szene in Erinnerung. »Sie dachten sich, da sie sowieso schon Neoprenanzüge anhatten, könnten sie doch mal die heiße Quelle ausprobieren. Blöde Idee. Sie hätten in diesen Anzügen förmlich gekocht, wenn sie sich länger als ein paar Sekunden in dem heißen Wasser aufgehalten hätten. Aber sie sind alle reingestiegen, auch wenn es ein bisschen eng war. Eine von ihnen ist dann auf den Müllsack getreten. Der Rest ist Geschichte.«
»Ein Auszug der Geschichte, den keine von ihnen so schnell vergessen wird.«
»Derjenige, dem die Knochen gehört haben, hat es verdient, nicht vergessen zu werden. Zumindest aus dem Grund freut es mich, dass die Frauen sie gefunden haben. Keine Familie sollte sich je fragen müssen, was aus einem ihrer Lieben geworden ist.« Als seine Mutter in jener Nacht im Krankenhaus gestorben war, hatte er es wenigstens gewusst. Er musste sich nicht fragen, ob sie eines Tages zur Tür hereinkommen und ihn mitnehmen würde. Weg von Jarretts Süchten, seinem unberechenbaren Verhalten und seinen plötzlichen Stimmungsumschwüngen. Im Alter von sieben Jahren hatte er begriffen, dass es für ihn kein Zurück mehr gab. Und obwohl es brutal gewesen war, war es allemal besser, als mit falschen Hoffnungen zu leben.
»Ganz deiner Meinung. Ich will jeden Satz Knochen identifiziert haben, ehe ich mit dem Fall abschließe. Keine Ahnung, ob ich das schaffe. Aber es ist mein Ziel. Man könnte kaum sagen, dass Gerechtigkeit geschehen ist, solange wir den Knochen keine Namen zugeordnet haben.«
Er überlegte, wie sie das zustande bringen wollte, doch da sie ihm das vermutlich ohnehin nicht verraten würde, sparte er sich die Frage. Allerdings sah er sie nun vor sich, wie sie den Familien der Menschen, denen diese Knochen gehört hatten, Klarheit brachte, und sagte sich, dass die Betroffenen von Glück sagen konnten, dass sie sich für ihre Angehörigen einsetzte.
»Gerechtigkeit kann manchmal im Auge des Betrachters liegen und ein heikles Terrain sein.« Als sie schwieg und ihn erwartungsvoll ansah, überraschte er sich selbst damit, dass er weitersprach. »Mein Großvater dachte wahrscheinlich, dass sein Testament die angebrachteste Form der Gerechtigkeit meinem Vater gegenüber darstellte, indem er ihm keinen Cent hinterließ. In dem Hotel, das früher auf dem Grundstück stand, das er mir hinterlassen hat, soll einmal Teddy Roosevelt
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