Knochenzeichen
im Landview Motel, während sie sich für den Tag fertig machte. Sie hatte verschlafen und lastete das nun der Einfachheit halber Sharper an. Die grell leuchtenden Ziffern auf dem Wecker hatten sie die ganze schlaflose Nacht hindurch scheinbar verhöhnt, bis sie ein Kissen über das Gerät geworfen hatte, um den Anblick der verrinnenden Zeit auszublenden, während sie wach lag. Infolgedessen war sie erschöpft und benommen aufgewacht, ein Zustand, den die prasselnde Dusche nur teilweise zu lindern vermocht hatte.
Zu allem Überfluss musste sie auch noch die Wäsche machen. In ihrer Reisetasche lag nur noch ein einziger Satz frischer Sachen, und sie hatte keine Ahnung, wann sie Zeit zum Waschen finden würde. Vielleicht gab es ja im Landview einen Wäscheservice. Als sie Stimmen im Flur vernahm, eilte sie zur Tür und zog sie auf, in der Hoffnung, das Zimmermädchen abfangen und danach fragen zu können.
Und dann riss sie mit einer Mischung aus Schreck und Bestürzung die Augen auf, als sie eine der Mitarbeiterinnen vom Empfang vor ihrer Zimmertür stehen sah.
Neben ihr stand ihre Mutter.
»Schätzchen.« Lydia schwebte auf sie zu und küsste sie auf beide Wangen, ehe sie einen Schritt zurücktrat, um sie kritisch zu beäugen. »Ach du liebe Zeit, du willst doch nicht in dem Aufzug ausgehen, oder? Du siehst einfach entsetzlich aus.«
»Entschuldigen Sie, Miss Fleming.« Die junge Motelangestellte rang nervös die Hände. »Ich wollte Sie ja zuerst anrufen, aber die Dame hat darauf bestanden … und sie ist ja offensichtlich Ihre Mutter. Die Ähnlichkeit ist mir gleich aufgefallen. Und … na ja …«
Steif erbarmte sich Cait ihrer. »Schon in Ordnung.«
»Natürlich ist es in Ordnung.« Lydia fegte an ihr vorbei ins Zimmer, eine Segeltuch-Reisetasche über dem einen Arm und ihre Handtasche am anderen. »Warum auch nicht? Ich bin deine Mutter .«
Cait schloss die Tür und widerstand dem Drang, mit dem Kopf dagegenzuschlagen. »Was willst du hier?« Als sie die Worte vernahm, begriff sie, dass ihnen all jene Diplomatie abging, die sie normalerweise immer aufbrachte. »Ich meine … wir haben doch erst telefoniert. Und ich habe gesagt, ich würde dich nach Abschluss der Ermittlungen besuchen. Ich werde absolut keine Zeit haben, um …«
»Ich glaube, du wirst dir Zeit nehmen. Ausnahmsweise wirst du einmal genau das tun, was ich sage, Caitlin.«
Lydias Worte und ihr Tonfall ließen bei Cait sämtliche Instinkte in Alarmbereitschaft gehen. Ihre Mutter trat immer selbstsicher auf. Sie ging grundsätzlich davon aus, dass sie nur mit dem Finger zu schnippen brauchte, und schon würde sich auf ihr Kommando hin die Welt aus den Angeln heben. Doch diesmal stimmte etwas nicht. Etwas, das Cait kalte Schauer über den Rücken laufen ließ.
»Woher hast du gewusst, wo ich bin?«
»Du bist nicht die einzige Detektivin in der Familie, meine Liebe.« Lydia zog majestätisch eine Braue hoch. »Ich habe in den letzten Tagen meine Hausaufgaben gemacht. Im Internet alles über die jüngsten grässlichen Neuigkeiten ergründet. Ich habe mir schon gedacht, dass du an dem Fall hier arbeitest. Und gestern hast du es mir bestätigt.« Cait musste so perplex dreingeblickt haben, wie sie sich fühlte, denn ihre Mutter schickte eine Erklärung hinterher. »Du hast gesagt, du würdest runter kommen und mich besuchen. Also habe ich hier in der Gegend herumtelefoniert und bin auf überaus hilfsbereite Leute gestoßen. Natürlich bist du auch enorm einprägsam. Das hat geholfen.«
Cait hatte das Gefühl, eine Stütze zu brauchen. Da kein Koffein greifbar war – und auch kein doppelter Whiskey –, griff sie nach der nächsten Stuhllehne. »Du hast meine Frage noch immer nicht beantwortet. Was willst du hier?«
Die Augen ihrer Mutter blitzten ärgerlich auf. »Hast du geglaubt, du könntest mich einfach so abtun, Caitlin? Meine Wünsche? Meine Bedürfnisse? Das habe ich ein Mal zugelassen, und jetzt sieh dich nur an.« Der abschätzige Blick, mit dem sie Cait von Kopf bis Fuß musterte, schmerzte wie ein Peitschenhieb. »Ich hätte dich nie aus der Branche aussteigen lassen sollen, die uns beiden so viel Glück beschert hat. Diesen Fehler mache ich nicht noch einmal.«
» Du hast überhaupt nichts zugelassen, Mutter. Das hat ein Richter getan, schon vergessen?« Er hatte sie von der elterlichen Verfügungsgewalt befreit und davon, dass Caits Mutter ihr Geld verwaltete. Mit siebzehn war sie endlich frei gewesen. Und sie hatte es keinen
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