Knochenzeichen
Marissa Recinos fragen Sie?« Sie sah förmlich vor sich, wie der Mann am anderen Ende den Kopf schüttelte. »Sagt mir jetzt nichts …«
»Zuletzt wurde sie im Dezember vor fünf Jahren gesehen, im Pike Place Market«, versuchte Cait ihm auf die Sprünge zu helfen. »Ihre Mutter hat sie vermisst gemeldet, als sie am Sonntag darauf nicht zum gemeinsamen Familienessen erschienen ist.«
»Ach ja, die Recinos. Jetzt fällt’s mir wieder ein. Hab sie nie gefunden. Mir persönlich hätte ja ihr Ex als Täter gefallen. Ein richtiges Arschloch, und sie hatten eine unerfreuliche Scheidung. Sie war schwer betucht, und er hatte das Gefühl, beim Unterhalt betrogen worden zu sein.« Drecker schnaubte. »Kennen Sie einen Mann, der Unterhalt kriegt? Das sollte mal jemand meinen zwei Exfrauen erzählen. Jedenfalls hat er ein paar Jahre zuvor gewisse Drohungen ausgestoßen.«
»Hatte er ein Alibi?«
»Ein wasserdichtes. Ihre Leichenteile stammen also von einer Latino-Frau?«
»Bei sämtlichen Skeletten fehlen die Schädel, daher kann ich die Abstammung nicht bestimmen. Aber ich wüsste gern, ob sie spezielle Merkmale am Skelett aufweist.«
»Tja, dann hilft Ihnen die Beschreibung ihres Tattoos wohl nicht viel weiter, was? Aber lassen Sie mich der Sache mal nachgehen, und ich melde mich dann wieder bei Ihnen. Wahrscheinlich werde ich ihre Mutter anrufen müssen. Wonach genau soll ich fragen?«
»Nach ihrer medizinischen Vorgeschichte. Ob sie je einen Bruch erlitten hat und an welchem Knochen. Und wie lange es her ist.« Das infrage kommende Skelett hatte einen alten Bruch am linken Handgelenk, der innerhalb ihres letzten Lebensjahres passiert sein musste. Cait überlegte einen Moment lang. »Und fragen Sie auch, ob Recinos an Arthrose gelitten hat. Ob sie Probleme mit den Knien hatte. Fragen Sie nach Röntgenbildern in ihren Patientenakten. Alles, was mir dabei helfen könnte, die Überreste zu identifizieren.«
»Ich erkundige mich. Erreiche ich Sie unter dieser Nummer?«
»Ja, aber Sie können mir auch mailen.« Cait gab ihm ihre berufliche E-Mail-Adresse.
»Gut. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen.«
Die weiteren Anrufe füllten den Rest der Fahrzeit aus. Nachdem sie alles erledigt hatte, musste sie sich voll und ganz auf ihre Erinnerung daran konzentrieren, wo Sharpers Anwesen lag.
Sie besaß ein fotografisches Gedächtnis für alles, was sie las. Das hatte ihr das Studium deutlich erleichtert. Doch wenn es um Orientierung ging … nun ja. Mehrmals hatte sie wenden müssen, ehe sie aufgegeben hatte und zum Springs Resort gefahren war, um von dort aus einen neuen Versuch zu starten.
Diesmal hatte sie mehr Erfolg, obwohl sie die schmale Zufahrt zu Sharpers Grundstück einmal verpasste und noch einmal wenden musste. Als sie zu einer Kette kam, die ihr auf der Zufahrt den Weg versperrte, fragte sie sich zum ersten Mal, was sie täte, wenn Sharper heute zu Hause war.
Ein Blick zum Himmel sagte ihr, dass das unwahrscheinlich war. Es sah nicht so aus, als ob es hier geregnet hätte, obwohl die Wolken dräuend am Himmel hingen. Und bei seinem ganzen Gemecker darüber, dass sie ihn von seiner eigentlichen Arbeit abhielte, wähnte sie ihn so gut wie sicher längst in Eugene. Es war ja bereits nach zehn.
Sie schnappte sich ihren Rucksack, schloss den Wagen ab und ging den restlichen Weg zu Fuß, wobei sie erneut über die abgeschiedene Lage staunte. Ehe sie am Morgen aufgebrochen war, hatte sie noch im Gerichtsgebäude von Lane County vorbeigeschaut. Laut dem zuständigen Beamten umfasste Sharpers Anwesen gut zehn Hektar Land und war über eine Million Dollar wert.
Die Summe allein war schon erstaunlich. Sharper hatte beiläufig erwähnt, dass er das Land von seinem Großvater geerbt hatte, erinnerte sie sich, während sie in schnellem Schritt den Weg hinaufmarschierte. Hübsche Erbschaft. Und das Haus, das er sich da baute, war auch nicht gerade ein Schuppen.
Zu Fuß dauerte es eine Viertelstunde, ehe das Haus in Sichtweite kam. Cait blieb stehen und blickte sich um. Sharpers Trailblazer war nirgends zu sehen. Der ramponierte rote Pick-up, der ihr schon letztes Mal hier aufgefallen war, stand noch am selben Fleck. Alles sah verlassen aus.
Sie zog die Karte der Naturschutzbehörde heraus und studierte sie kurz, ehe sie mit zusammengekniffenen Augen noch einmal Sharpers Anwesen musterte. Wenn sie ein Raster erstellte und von jeder Ecke sowie von zufällig ausgewählten Punkten in der Mitte davon Proben nahm, könnte sie
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