Knochenzeichen
roch sie den Alkohol. Nicht in seinem Atem. Eher als ob er aus seinen Poren käme. Wie viel hatte er getrunken? Er wirkte nicht berauscht. Und ganz bestimmt wirkte er nicht irgendwie eingeschränkt.
Er wirkte nur tödlich.
»Niemand da, der Ihnen helfen könnte.« Ein weiterer halber Schritt. Ihr Puls ging schlagartig schneller. Jeder Muskel in ihrem Körper verspannte sich. »Zusammen mit einem Mann, den Sie nicht besonders gut kennen.«
Cool zog sie eine Braue hoch. »Sie machen sich Sorgen um mich? Nicht nötig. Ich bin schon mit größeren Männern als Ihnen fertiggeworden, ohne in Schweiß auszubrechen. Bleiben Sie mir vom Leib. «
»Sonst?« Er schlang ihr einen Arm um die Taille und ließ die Hand ihr Rückgrat hinuntergleiten. Und noch weiter.
»Sharper, wenn Sie Ihre Hand nicht von meinem Hintern nehmen, können Sie gleich Ihre Zähne vom Boden aufsammeln.«
»Sie sind also darin ausgebildet worden, Männer brutal zu überwältigen. Glauben Sie, das macht Sie hart im Nehmen? Viele von uns haben das gelernt.« Seine Worte durchdrangen ihren Ärger und weckten ihr Interesse. Doch dieses Interesse wurde von der Erkenntnis verdrängt, dass er seine Hand nicht vom Fleck bewegt hatte. Und sein Gesicht viel zu nah an ihrem war. »Ich sag Ihnen mal was über Härte. Ganz egal, worauf Sie auch gefasst zu sein glauben, es gibt immer etwas, das alles, was Sie zu wissen meinen, in Trümmer legt. Alles, wovon Sie sich einbilden, Sie würden es verkraften.«
»Ich warne Sie, Sharper.« Doch sogar sie selbst hörte das Zittern in ihrer Stimme. Seine Worte beschworen eine Erinnerung herauf, die sie seit ewigen Zeiten unter Verschluss gehalten hatte. Die Finsternis sickerte heraus. Wirbelte durch ihren Kopf.
»Sie merken, wie hart im Nehmen Sie sind, wenn Sie nach der Explosion einer Sprengbombe den Körperteilen anderer Männer ausweichen müssen.« Die Gereiztheit in seiner Stimme war rasiermesserscharf; jedes Wort riss eine Scharte in die Haut und ließ Blut hervorquellen. »Oder wenn Sie rosafarbenen Nieselregen einatmen, weil das alles ist, was von dem Typen übrig ist, der der Explosion am nächsten war. Einer der härtesten Männer, die ich kannte, hat sich gestern Abend die Kanone in den Mund gesteckt, und raten Sie mal, warum? Hartsein bedeutet einen Scheiß, wenn man ohne Beine und nur noch mit einem halben Gesicht nach Hause geschickt wird. Haben Sie schon mal gesehen, was von jemandem übrig ist, der sich eine Knarre in den Mund geschoben hat?«
Die Vergangenheit sprang sie an wie ein großes, mit Fangzähnen bewehrtes Raubtier, fauchend und tobend unter dem Gazeschleier der Gegenwart.
Sie war wieder acht Jahre alt. Hatte die Finger in die Ohren gesteckt. Duckte sich unter den Schreibtisch, bis die Waffe losging. Unterdrückte ersticktes Schluchzen, als sie herauskroch. Tat, was sie tun musste.
Hol einfach nur die Pistole. Denk daran, was ich dir gesagt habe. Sieh nirgends anders hin. Sieh nicht hin.
Doch natürlich hatte sie hingesehen. Wie auch nicht? Und das Bild hatte sich in ihre Netzhaut eingebrannt, war seitdem unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingeätzt.
»Blutspritzer überall. Knochenfragmente auf den Sofakissen. An den Vorhängen. Gehirnmasse auf dem Schreibtisch. An der Waffe.«
Der Waffe, die sie hatte aufheben müssen. Der Waffe, die sie an dem speziellen Ort hatte verstecken müssen, den er ihr gezeigt hatte.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, bis ihr der Wandel in Sharpers Blick bewusst wurde. In seinem Gesichtsausdruck. Es dauerte einen weiteren langen Moment, ehe sie begriff, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte.
Scham rang mit Panik. Sie löste sich aus seinem Griff. Was einfach war, da er die Hände sinken ließ und einen Schritt von ihr wegmachte, nicht ohne sie weiterhin aufmerksam anzusehen.
»Cait.«
»Ich muss los.«
Mit schnellen Bewegungen rückte sie die Gurte an ihren Schultern gerade und wandte sich um. Ging mit raschen Schritten davon. Drosselte ihr Tempo wieder, zauderte. Als sie sich umschaute, sah sie, dass er sie beobachtete. »Das mit Ihrem Freund tut mir leid.«
Dann marschierte sie weiter, in Richtung ihres Autos, und ließ den Mann hinter sich stehen, der ihr wortlos nachstarrte.
6. Kapitel
»Cait, wo sind Sie?«
»Bin gleich am Leichenschauhaus, warum?«
In Barnes’ Stimme schwang leise Euphorie mit, wie sie sie zuvor nie bei ihm vernommen hatte. »Gut. Ich bin schon da. Wir sehen uns dann gleich.«
Sie drückte auf Beenden
Weitere Kostenlose Bücher