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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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Seufzen, wenn ein Schauspieler den richtigen Ton nicht getroffen hatte. Sie standen gemeinsam gegen neun Uhr auf. Meistens lag Jennifer dann bereits seit einer Stunde wach. Sie weckte Jakob, sonst würde er bis in den späten Vormittag hinein schlafen. Sie frühstückten gemeinsam, wobei Jakob das Essen und Jennifer den Tee zubereitete. Sie lasen gemeinsam die Zeitung. Jennifer griff immer zuerst zum Feuilleton und Jakob zur Chronik. Wirtschaft und Sport lasen sie beide nicht. Jennifer aß wenig, Jakob über die Sättigung hinaus. Jennifer sagte oft, dass Jakob nicht sehr alt werden würde. Jakob seufzte dann wie Jennifer, wenn ein Schauspieler den Ton nicht traf. Jennifer duschte morgens, Jakob abends. Sie wollte nicht, dass er ihr half. Sie brauchte diese Stunde alleine im Bad. Jakob nutzte die Zeit, um sich eine Route für den Tag zurechtzulegen. Wenn sie miteinander schliefen, dann geräuschlos. Wenn Jakob masturbierte, kam er meistens mit einem kurzen Schrei. Als ob ihn der Orgasmus jedes Mal von neuem überraschte. Wenn draußen die Sonne schien, zog Jennifer die Jalousien herunter. Sie mochte es, wenn die Streifen über ihr Gesicht wanderten. Er brauchte klares Licht, dämmrige Stellen im Raum machten ihn fahrig. Jakob ertrug es nicht, wenn Musik nur im Hintergrund lief, Jennifer benutzte sie ausschließlich als Mittel gegen die Stille. Manchmal spielte sie Klavier. Aber sie liebte nicht die Musik, nur das Bild: sie am Klavier. Jakob hörte ihr dann aus dem Nebenzimmer zu. Wenn er die Augen schloss, sah er ein pelziges Wesen, das durch die Walddämmerung lief. Wenn Jennifer die Augen schloss, sah sie Türme aus Papier, die im Regen einknickten. Jakobs Gemüt veränderte sich über den Tag, Jennifer blieb in ihrer Rolle. Sie sprachen nie über Geld. Es war ein gemeinsamer Beschluss, nie über Dinge zu sprechen, die sie sich nicht leisten konnten. Sie gingen so gut wie nie aus. Manchmal luden sie jemanden ein, es gab aber nur wenige Menschen, auf die sie sich einigen konnten. Jakob hatte Schmerzen in den Gelenken, Jennifer brannten jede Nacht die Beine. Dann vertiefte sie sich so lange in den Schmerz, bis ihr seine Anwesenheit nichts mehr ausmachte. Jakob versuchte den Schmerz zu ignorieren, was ihn meist noch verstärkte. Jennifer blies Kerzen aus, Jakob löschte sie mit den Fingern. Er griff auch ins Kaminfeuer. Aber wenn ein Fenster offenstand, lief er hin und sah panisch hinunter. Jennifer würde sich vergiften, Jakob die Pulsadern aufschneiden. Beide bevorzugten das Wegdämmern. Jakob Fleisch. Jennifer Fisch. Jakob Gin. Jennifer Grappa. Jakob Brillen. Jennifer Kontaktlinsen. Jakob Malerei. Jennifer Fotografie. Es hingen aber nur ein paar Kinoplakate im Vorzimmer.
    Jeden Morgen warteten sie auf die Züge der Hochbahn, die an ihrem Fenster vorbeizogen. Sich die Welt da draußen als stummen Zustand zu denken, war ein gemeinsames Bild von Heimat. So wie ihnen vermummte Radfahrer im Winter das Gefühl von Geborgenheit gaben. Und flackernde Straßenlaternen Unwohl bereiteten. Freundliches Personal widerte sie im gleichen Maße an wie Menschen, die Gratiszeitungen lasen. Mit Hunden verbanden sie die Einsamkeit des Alterns. Katzen fanden sie nicht unheimlich, aber hinterhältig und stumpf. Wenn sie am Himmel einen Kondensstreifen sahen, dachten beide an einen Flugzeugabsturz. Wenn sie das Haus verließen, blickten beide als Erstes in den Himmel, ob dort eine Katastrophe abzulesen war. An wolkigen Tagen hofften sie, dass nichts passiert war, weil man ohnehin nichts davon hätte. Immer verließen sie gemeinsam das Haus. Jennifer mit ihrem Rucksack, Jakob stopfte alles in seine Jacke. Meistens begannen sie schon im Aufzug zu streiten. Jakob weigerte sich, seinen Rollstuhl bis zum Haustor zu tragen. Er bestand darauf, die Recherche für das Projekt müsse authentisch sein, da durfte man sich nicht schon von der Haustür ins Erdgeschoss schummeln. Jennifer musste sich querstellen, damit sie im Aufzug beide Platz fanden. Sie fragte, wie lange das noch so gehe, es sei ein unerträglicher Zustand, und wenn er das schon bis ins letzte Detail nachahmen wolle, dann möge er doch auch zuhause nicht aus dem Rollstuhl steigen. Aber Jakob sagte, sie verstehe offenbar das ganze Projekt nicht. Er schreibe einen Reiseführer für Behinderte und nicht einen Erlebnisbericht, wie es sich als Rollstuhlfahrer lebe. Das wüssten die Betroffenen ohnehin am besten. Sie versicherte ihm, dass kein Gelähmter der Welt seinen Reiseführer je

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