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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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danke, bitte, bleiben Sie, wo Sie sind, Verzeihung, ich bin nur in Eile, links oder rechts, Barbara, wie bitte? Warum flüsterst du? Ja, rechts, und nein, der Herr merkt sich prinzipiell keine Gesichter –
    Er hätte ihm nicht zuzwinkern sollen. Das war ein Fehler. Dieser Verkumpelungsblick hatte ausschließlich dazu geführt, dass sich Branko sein Gesicht einprägte. Mit dem gesenkten Haupt sah Barbara – niemand, der im Rollstuhl saß, hieß Barbara – aus, als hätte sie einen Schlaganfall gehabt. Da passten die Einzelteile nicht zueinander, dachte Branko und fragte sich, was jetzt an dieser Frau anders war. Er hatte ihr vor zwei Stunden die Stufen hinaufgeholfen. Das war keine, die ihren Kopf auf die Brust sinken ließ. Diese Frau Jelinek – niemand, der in ein Stundenhotel ging, hieß Jelinek, aber natürlich war Branko falsche Namen gewohnt, und ein Name war einfältiger als der andere, nie hatte auch nur ein Name zu einem Gesicht gepasst –, die kam ihm bekannt vor, wobei einem Rezeptionisten eines Stundenhotels sehr schnell jemand bekannt vorkam, saß er doch ständig in irgendwelchen Bars und wurde das Gefühl nicht los, eine Frau von irgendwoher zu kennen, wobei das Irgendwo eine klare Verortung hatte, aber trotzdem ein Irgendwo bleiben musste, und selbst wenn er mit irgendeiner Frau dann irgendwo schlief, durfte er nicht offenbaren, warum ihr Gesicht nicht irgendein Gesicht war. Aber an dieser Jelinek war nicht nur der Name falsch, nicht nur die Haare, da passte irgendwie nichts zusammen, eine billige Klamotte, mieseste Rollengestaltung. Diese Jelinek, die hatte schon einmal seinen Blick gesenkt, diese Jelinek hieß Kerbler und hatte ihm so lange gesagt, dass er nicht wieder zu kommen brauche, bis sich sein Blick gesenkt hatte, für Jahre, bis er außerstande war, auch nur irgendjemanden anzusehen, und vielleicht war er deshalb so geeignet für diesen Ort, wo man auch immer den Blick senken musste. Er sei unerträglich untalentiert, unlebendig, uninspiriert und völlig degeneriert. Das hatte sie gesagt, als er sein erstes und einziges Casting bei Frau Kerbler bestritten hatte. Degeneriert! Und seitdem arbeitete er in diesem Stundenhotel, mit gesenktem Blick und ohne Publikum. Einer, der nichts darzustellen hatte, der brauchte kein Publikum. Der verdiente es nicht, die Blicke auf sich zu ziehen. Dabei war sich Branko sicher, dass es in ihm gesteckt hätte, aber eben nur gesteckt, so wie alles in ihm immer zu stecken schien. Immer blieb alles nur stecken, auch dieser Stachel steckte noch in ihm, und nur Frau Kerbler konnte ihn entfernen. Als er seinen Blick in den Rücken dieses Mannes bohrte, beschloss er, sie aufzusuchen. Sie hatte ihn nicht erkannt, als er ihr die Stiegen hinaufhalf, und er hatte nicht genau hingesehen, er war so verliebt in sie gewesen. Er hätte eine wie sie gebraucht, eine, in der absolut nichts steckenblieb. Es war nicht ihre Art, den Kopf auf die Brust fallen zu lassen, er würde sie finden, ihre Nummer war bestimmt die gleiche. Er hätte mit ihr schlafen sollen, aber so wollte er es nie geschafft haben. Gab es jemanden, der sich nicht dafür ficken ließ? Jetzt kam die alte Wut wieder, er hatte sie überwunden geglaubt, und die Silhouette des Mannes verschwand im Regen, sonst wäre er ihm vielleicht nachgelaufen.
    Dass es jetzt zu regnen begann. Ein Glücksfall. Der Rollstuhl am Ufer. Seltsam, dachte ein Passant, der trotz des Wetters hier entlangspazierte. Er beschloss, die Polizei zu verständigen, blieb aber nicht stehen, wählte im Gehen und verschwand im Dunst des Regens. Der Wasserstand hatte sich erhöht. Lutz hatte das Gefühl, die Donau würde gleich überschwappen, würde den leeren Rollstuhl mit sich fortreißen. Aber er musste so knapp am Wasser stehen, sonst fragte man sich womöglich, warum sich die Gelähmte das Leben erschwerte, wenn sie sich mit dem Selbstmord doch Erleichterung verschaffen wollte. Sie würden die Leiche nicht finden. Der Fluss spuckte so gut wie nie etwas aus. Das wusste auch die Polizei. Außerdem war er Arzt, er konnte mit Stress umgehen. Der Rollstuhl diente nur als Köder. Die Leiche war nicht im Fluss.
    Er hatte sie in die Garage geschoben, an dem Schranken vorbei, jede Eventualität im Kopf. Falls man jemandem im Aufzug begegnete. Er hatte die Kamera gesehen. Klar. Aber was war so ungewöhnlich daran, jemanden im Rollstuhl am Schranken vorbeizuschieben? Ein Rollstuhl war ein Fahrzeug wie jedes andere. Es gab keine Leiche. Er hatte sich

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