KNOI (German Edition)
Unfall und damit natürlich einer OP näher als einem Mord. Er hoffe, sie sehe das genauso, es sei einfach Schicksal gewesen, obwohl es für ihn als Atheisten natürlich kein Schicksal gebe, somit auch keine Strafe. Ein Gott, der einen bestrafen wolle, weil man nicht an ihn glaube, habe ohnehin nichts Göttliches an sich. Ein Gott mit Minderwertigkeitskomplexen. Mit einem solchen könne er es aufnehmen. Einfach an alle Eventualitäten denken. Sie würden ihn nicht kriegen. Es gab keine Leiche.
Lutz sah auf die Uhr. Es war spät geworden. Seltsamerweise hatte Rita nicht angerufen, um zu fragen, wo er bleibe. Der Regen prasselte auf ein menschenleeres Ufer. Der Regen hielt die Zeugen fern. Morgen kämen Passanten und würden den Fluss nach einer Leiche absuchen. Aber der Fluss würde nichts preisgeben. Lutz nahm das Mobiltelefon, der Beweis, dass Jennifer Kerbler um 18 Uhr 27 noch gelebt hatte, dass sie keinesfalls tot war und dass sie sich von ihrem Lebensgefährten verabschiedet hatte.
Jakob, ich habe dich verlassen. Suche nicht. Es gibt nichts zu finden. Sei glücklich
. Das klang nach ihr. Da machte eine Suche keinen Sinn. In vier Sätzen alles vom Tisch gewischt. Keine Eventualitäten offengelassen. Warum hatte sie eigentlich ihre Sachen nicht mitgenommen?
Wundere dich nicht. Ich habe alles zurückgelassen. Bitte bring es zu Ruby. Es wäre schön, wenn du dort Jennifer entsorgen könntest
.
Lutz musste lachen.
Entsorgen
klang nach ihr. Einmal hatte sie gesagt, wenn sie sterbe, dann wolle sie in der Feuerhalle
entsorgt
werden. Wie ihr Vater. Nur Atheisten ließen sich entsorgen. So kam sie doch noch zu einer ordentlichen Beerdigung. Bei Ruby. Rita hatte Jakobs Sachen bei Ruby entsorgt, da schloss sich der Kreis. Und jetzt ging es vor allem um geschlossene Kreise. Es gab keine Leiche. Die Wohnung. Das Telefon.
Jakob. Alles gehört dir. Dort wo ich hingehe, brauche ich nichts. Das ist meine letzte Nachricht. Diese Nummer gibt es nicht mehr. Bitte melde sie ab
. Lutz nahm das Telefon. Den Ortungsdienst ausschalten. Dann in den Fluss werfen. Ausschalten! Ausschalten.
ZEHN
Konrad habe einen ungewöhnlichen Abend gewählt, sagte der Minister, er könne sich gar nicht daran erinnern, wann es auf Nauru das letzte Mal so windstill gewesen sei. Auf Nauru habe es immer 27,5 Grad, das liege an der Nähe zum Äquator und sei an sich nicht ungewöhnlich. Wobei, eine solche Windstille, das sei schon ungewöhnlich, da habe Konrad richtig Glück gehabt, eine so windstille Nacht habe es seit Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten nicht gegeben, und er könne sich wahrscheinlich vorstellen, wie man sich bei einem so konstanten Klima über die kleinste Veränderung freue. Nein, auf das Gemüt schlage das nicht, nein, auch nicht
monoton
, der Nauruer sei eben wie sein Klima, keinen großen Schwankungen ausgesetzt, ein konstantes Gemüt, ganz klar obenauf und nicht untenher, beim Wind, da sei es genau umgekehrt, sagte der Minister, da sei Nauru eine Insel unter dem Wind und nicht über dem Wind, aber beim Gemüt, da sei man witterungslos, ja, zugegeben, ambitionslos, aber im besten Sinne. Die Menschen hier seien zufrieden, der Nauruer kenne keine Habgier, im Gefängnis säßen gerade mal zwei Jugendliche, und trotzdem sei man zum Schurkenstaat erklärt worden. Ein harter Schlag. Aber einem freien Land stehe es doch zu, seine Staatsbürgerschaften frei zu vergeben, Taliban hin, Taliban her, vor allem, wenn man daran denke, wie viele Flüchtlinge Nauru Jahr für Jahr aufnehme, natürlich gegen Geld. Man sei die Müllhalde Australiens, die Jungen gingen, und der Abschaum komme, ja, Australien, die meisten seien nach Australien gegangen, er brauche sich ja nur umzusehen, die Insel sehe aus wie ein einziger Steinbruch, man habe sich den eigenen Boden unter den Füßen abgetragen. Bei Vollmond habe man das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu stehen, aber selbst er, der Minister, würde seine Regierungsgeschäfte inzwischen von Australien aus betreiben, der Nauru-Tower sei das höchste Gebäude Australiens. Seinerzeit habe man die Havarien einfach am Straßenrand liegen gelassen, seit Jahren habe sie keiner mehr weggeschafft, ob sie an den Strand fahren sollten, da mache gerade ein Haufen Zugvögel auf Zwischenstation, da könne man sehen, wie die Phosphatvorkommen wieder angereichert würden. Ja, man habe den Eindruck, die Viecher kämen nur zum Scheißen hierher, aber ihm sei das natürlich recht, sagte der Minister und ließ den Fahrer
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