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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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worden, der Koffer stand jetzt unter dem Tisch. Jemand hatte das Kuvert auf das Bett gelegt. Er war der einzige Gast. Das spürte er deutlich. Vermutlich hatte der Kolibri selbst die Zimmer gereinigt. Die Überdecke war verschwunden. Sie hatte aus der Bettdecke ein freundliches Faltenmuster gezaubert. Keine Blüten ausgestreut. Auf Nauru gab es vermutlich keine Blumen.
For You
. Das weiße Kuvert. Der Wind drückte gegen das staubige Panoramafenster. Ein massiver Schüttregen brach ohne Ankündigung über Nauru herein. Der Sturm wehte eine Fastfood-Verpackung über die Straße. Es gab keine Bäume, die sich im Wind gebogen hätten. Konrad hielt das Kuvert in der Hand und öffnete es, ohne es aufzureißen. Wer weiß, wer mit
You
tatsächlich gemeint war.
    Du bist zu spät gekommen. Ich habe so lange auf dich gewartet. Und trotzdem habe ich immer gewusst, dass wir uns knapp verpassen werden. Es war nicht vorgesehen. Doch, es war vorgesehen. Es fühlt sich auch an, als hätten wir es schon ein paar Mal geschafft. Ich habe das Warten nicht mehr ausgehalten. Bitte verzeih
.
    Mia Kouri
    Konrad war überrascht, dass der Brief unterzeichnet war. Er hatte immer gewusst, dass er ihr begegnen würde, dass es keinen Sinn hatte, sie zu suchen, dass sie einander früher oder später über den Weg laufen würden. Er hatte immer damit gerechnet, dass er sie erkennen würde, egal in welcher Verkleidung sie vor ihm stünde. Sie hatte ihm so sehr gefehlt, dass sein Festlandleben unerträglich geworden war. Konrad hatte den Großteil seiner Dinge bei Melina gelassen, wegen der Kinder, damit sie glaubten, er sei nur verreist. Die Kinder freuten sich über jeden seiner Anrufe. Meistens waren sie es, die anriefen. Eigentlich immer. Wenn er sie gefunden hatte. Dann würde er öfter anrufen. Dann würde er auch kommen. Dass sie einen Namen hatte, enttäuschte ihn. Sollte er das Kuvert in ihr Zimmer zurücklegen? Oder an der Rezeption abgeben? Wahrscheinlich war sie nicht unter diesem Namen eingetragen gewesen. Niemand hieß Mia Kouri. Nicht einmal jemand, der in Hotelzimmern Briefe für Fremde hinterließ. Konrad war gegangen, weil er gehofft hatte, im Überall den Menschen zu finden, mit dem es keine Synonyme mehr gab, bei dem Liebe nicht Hoffnung, ein Kuss nicht Schweigen, Zusammensein nicht Gefängnis bedeutete. Kein Mensch, der einen dauernd für sein Glück zuständig machte. Keine Verschwiegenheit, aber viel Schweigen. Wo Zorn Zorn, Abscheu Abscheu, Hass Hass und Argwohn Argwohn sein durften und der Zorn nicht plötzlich Abscheu und der Argwohn nicht Hass genannt wurde. Wo sich der Name des anderen wie der eigene anfühlte.
    Konrad nahm das Telefon und tippte
Mia Kouri
in die Suchmaschine.
    Mia Kouri
bedeutet übersetzt: ein Mädchen.
    Ein Mädchen. Ohne Gesicht. Ohne Geruch. Mia Kouri. Er setzte sich. Der Teppich roch wie ein modriger Teppich, der Regen war bloß Regen, und das Bett war ein ausgelegenes Bett, das keine Geschichten zu erzählen hatte, die es nicht überall anders auch zu erzählen gab. Konrad merkte, wie sich das Zimmer verkleinerte. Wie ihm alles zu Kopf schrumpfte. Die Zeit verging plötzlich schneller. Die Straßen wurden enger. Die Autos rasten immer knapper aneinander vorbei. Konrad spürte es wieder, und es fühlte sich wie Jakob an. Als wäre Konrad nur sein Schatten, sein Geist, das Entsorgungslager für verworfene Ideen, nicht verfolgte Möglichkeiten, nur ein Gedanke, eine Erfindung. Er lief hinaus. Der Regen hatte aufgehört. Aber der Asphalt war nass. Die lange gerade Straße zwischen den Kratern war leer. Und das Mondlicht leuchtete jeden Winkel von Nauru aus. Er lief bis zum Strand, wo die Zugvögel herumflatterten, als ob sie bereits von jemandem geweckt worden wären. Hunderte weiße Vögel flogen im Kreis, verschwanden im Schwarz und tauchten aus dem Schwarz wieder auf. Er blieb hinter ihr stehen. Sie hatte ihn nicht bemerkt, sie hatte die Blicke der anderen noch nie bemerkt. Erst als die Vögel ihren Radius vergrößerten und plötzlich über zwei Köpfen kreisten, drehte sie sich um und sagte Oh, und er sagte Oh-Oh, und sie sagte: Oh what? Er hätte jetzt gerne ihre Hand gedrückt, um sie gleich danach unter dem hysterischen Geschnatter der Zugvögel zu küssen, doch sie steckte ihre Hände in die Tasche und sah ihn an, worauf er nur sagte: Oh, just Oh. Sie blieb stehen und wartete, ob er auf sie zuging, wartete, ob er sich aufmachte, sie zu küssen, um sich währenddessen zu überlegen, ob sie dem

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