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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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Kuss nachgeben würde. Noch nie war sie auf jemanden zugegangen, immer wollte sie zum Nachgeben gebracht werden, aber Konrad blieb stehen, denn er ahnte, dass sie nicht nachgeben würde. Und daher sagte er etwas, das diesen Kuss noch mehr verunmöglichte, als es eine Kirche getan hätte, er sagte, dass dies wohl der Moment sei, von dem sie ihren Kindern erzählen würden, in dem sie sich das erste Mal geküsst hätten, wohl ahnend, dass die Vorwegnahme einer Situation immer zum völligen Ausfall derselben führte. Sie lächelte und sagte, dass sie sehr oft hier an den Strand gehe und dass diesem Strand keine solche Situation innewohne, sondern ausschließlich eine auf das Meer hinausschauende. Zu oft sei sie hier gestanden, um diesem Ort noch eine Bedeutung zu verleihen, es wäre also eine Lüge, wenn sie das ihren Kindern erzählen würden, vorausgesetzt, sie hätten jemals welche, denn das hier würde nicht der Moment sein, an dem der erste Kuss stattgefunden hätte, ab wann man denn jemanden küsse, wann dieser erste Kuss denn beginne, wollte er fragen, was aber diesen Moment auseinandergerissen hätte, also sagte er stattdessen, dass sie ihren Kindern dann zumindest erzählen könnten, dass sie hier über ihren ersten Kuss erstmals gesprochen hätten. Sie lachte und schüttelte den Kopf, aber nicht so, wie seine Eltern die Köpfe schüttelten, eher überrascht, nein, erstaunt, nein, geschmeichelt, nein, ahnend, dass die Vorwegnahme einer Situation nicht immer zum völligen Ausfall derselben führte. Sie lachte in sein ratloses Stirnrunzeln hinein und ahnte, dass sie dieses Stirnrunzeln einmal hassen würde. Jetzt war es aber genau dieser Anblick, der sie zum Nachgeben bringen hätte können, was sie ihm nicht sagen konnte, ein Aussprechen hätte ein Nachgeben völlig verunmöglicht, und so sagte sie Oh, und er sagte Oh-Oh, und sie sagte aber nicht Oh-what?, sondern senkte ihren Blick, um ihm die Möglichkeit zu geben, jetzt auf sie zuzugehen, um den ersten Kuss in Angriff zu nehmen, um sie kapitulieren zu sehen, um gemeinsam am Strand nachzugeben und sich diesen Moment mit den Vögeln, dem Wind, den Kratern und den Wellen einzuprägen und ihn zu einem erzählbaren Moment werden zu lassen. Aber Konrad blieb stehen und senkte ebenfalls den Blick. Er war schon seit Jahren auf niemanden mehr zugegangen, vielmehr durch alle hindurchgegangen, und mit diesem zweiten Moment nach dem ersten Aneinandervorbeigehen hatte er einfach nicht gerechnet, nein, war es längst nicht mehr gewohnt, mit irgendetwas rechnen zu müssen, und blieb daher auf der Stelle stehen, aus Ratlosigkeit, aus Erstaunen, diese Situation selbst heraufbeschworen zu haben. Es kreischten die Vögel, es wehte der Wind, es schlugen die Wellen, und das Phosphatvorkommen stieg, weil die Vögel mit diesem Moment auch nichts anzufangen wussten. Beide hielten ihre Blicke gesenkt, machten den Augenblick immer mehr zu einem nicht erzählbaren Augenblick, und begannen in kleinen wankenden Schritten aufeinander zuzugehen, als hätte man ihnen Fußfesseln angelegt. In zentimeterkleinen Schritten und mit geschlossenen Augen wankten sie aufeinander zu, ließen es möglichst unbeabsichtigt aussehen, jedem Rascheln im Kies folgte ein weiteres. Wenn man tanzt, stirbt man nicht, dachte er und ließ es noch einmal rascheln, und dann trug der Wind eine Zitronenlavendelwolke in seine Nase, und er hörte ihren letzten Schritt, denn jetzt konnte er sie spüren, ihre Fingerspitzen, die sich nach seinen ausstreckten, wie kleine Tentakel, die ihre Beute zart lockten, um sie mit einem Kuss zu Fall zu bringen, und ihre Lippen, die weich und salzig schmeckten und ihn endgültig kapitulieren ließen. Die Finger krallten sich ineinander fest, und jeder nahm den Geruch des anderen an. Sie flüsterte, dass es wie immer sei, dass diesem Moment absolut nichts Außergewöhnliches innewohne, und er, dass es so eine wie sie überall gebe, dass er den Moment schon jetzt vergessen habe. Sie ließen die Zugvögel hinter sich, gingen zur Straße hinauf, lauschten den Schritten des anderen, schlichen durch die Lobby, küssten einander im Aufzug in den vierten Stock hinauf, stießen die Tür auf und spiegelten sich nackt im staubigen Panoramafenster. Alles fühlte sich an wie tausend Mal erzählt. Überall gab es eine wie sie, die ihr Gesicht gegen die schwarze Panoramafenster presste, die ihre Finger spreizte und in deren kurzen erregten Atemzügen das Glas beschlug. Wie immer umfasste einer wie

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