KNOI (German Edition)
überflüssig machte, denn Jakob hätte nie den Mut aufgebracht, Jennifers Verschwinden vor der Polizei zu vertuschen, er hätte auch keinen Grund dazu gehabt, schließlich war er nicht der Täter, falls es überhaupt einen Täter gab, vielmehr hätte er diesen Anruf als Wink des Schicksals empfunden, andererseits gab es ihm Zeit, darüber nachzudenken, was genau er der Polizei erzählen würde, schließlich war er in das Verschwinden von Frau Kerbler wesentlich stärker involviert als in das Verschwinden von Jennifer, zumindest aus kriminalistischer Sicht. Die Umstände und Gründe für Jennifers Verschwinden waren eigentlich ausschließlich nichtkriminalistischer Natur, wurden aber kriminalisiert durch die Tatsache, dass womöglich ein kriminalistischer Umstand vorlag. Jakob hatte also allen Grund, sich sehr genau zu überlegen, was er sagte, wobei er zu diesem Zeitpunkt auch nicht ahnte, dass man ihn bereits suchte, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde, Hilde außer sich darin stehen blieb und mit ihren Stieraugen wartete, dass jemand fragte, was denn los sei. So hatte Rita Hilde noch nie gesehen, so ganz ohne Visier, so schnaufend, so unsouverän, so aufgelöst, so, dass man sie eigentlich gar nicht fragen wollte, was denn los sei, weil man mit schnaufenden, unsouveränen, aufgelösten Antworten zu rechnen hatte, und dann war es ausgerechnet Lutz, der höflich, aber desinteressiert fragte, ob alles in Ordnung sei, worauf Hilde, die die Gleichgültigkeit im Raum deutlich spürte, aber ignorierte, ihr bedeutungsschwangeres Gesicht aufsetzte, das aber genauso schnaufend, unsouverän und aufgelöst wirkte wie das vorherige, und sehr eindringlich sagte, dass Luise nicht mehr die gleiche Luise sei, dass Luise eine Wesensveränderung vollzogen habe und dass man sich in Acht nehmen müsse, denn Luise sei ein gemeingefährlicher Köter und man müsse sofort etwas unternehmen, sonst könne sie für nichts garantieren.
- Wo ist eigentlich Max? fragte Rita.
Max sei in Sicherheit, sagte Hilde, und Rita, sie habe gefragt, wo, dass er in Hildes Gegenwart in Sicherheit sei, davon gehe sie aus, und da begann Hilde wieder zu schnaufen, solche Töne kannte sie von Rita nicht. Es sei jetzt gerade ein sehr schlechter Moment, um über Luise zu sprechen, sagte Lutz, der jedes Schnaufen von Hilde wie einen Triumph inhalierte, und Hilde sagte, dass es keine falschen Momente gebe, weil so genannte falsche Momente nur die darunterliegenden Konstellationen, nein, Befindlichkeiten offenlegen würden und der falsche Moment so gesehen der richtigste sei, um die Wahrheit zu erfahren, und die stehe ja jetzt eindrucksvoll im Raum, und daraus lasse sich für sie nur der Schluss ziehen, dass man sich hier und jetzt entscheiden müsse. Entscheiden zwischen was, fragte Lutz, entscheiden zwischen Luise und ihr, eine von beiden müsse gehen. Aber das sei doch überhaupt keine Frage, sagte Rita, natürlich müsse Hilde bleiben, ob das Max auch so sehe, fragte Lutz, der sich wieder ein tiefes Schnaufen von Hilde abholte, die sagte, dass Max das ganz gewiss nicht so sehe, denn Max gebe Luise klare Anweisungen in diese Richtung, in welche Richtung, fragte Rita, in diese gemeingefährliche Richtung, sagte Hilde, die erst jetzt bemerkte, dass da jemand Dritter saß, nämlich Jakob, dessen Blick ihr verriet, dass es sehr wohl falsche Momente gab, die einfach nur falsch waren, denen im Falschen nichts Richtiges und im Richtigen nichts Falsches innewohnte, und dass dieser Moment ganz eindeutig ein solcher war.
- Wir müssen der Sache auf den Grund gehen und die Polizei rufen, kehrte Rita zum Thema zurück.
Lutz seufzte und beschloss, dass es für ihn nun die beste Strategie war, nicht mehr über jede Eventualität nachzudenken, sondern den Vorfall aus seinem Bewusstsein zu streichen und sich so zu verhalten, als hätte er nie stattgefunden. In den meisten Fällen sah man den Tätern das Täterhafte doch schon an der Nasenspitze an. Und Jakob, für den noch nichts passiert war, der aber befürchtete, dass etwas passieren könnte, dass also etwas passierte, das das, was möglicherweise passiert war, sichtbar machte, hoffte, dass einfach gar nichts passierte. Es durfte keinen Fall geben. Und er dachte erneut daran, Lutz um Lidocain zu bitten. Er hätte bestimmt Verständnis für seine Situation. Und Rita hoffte, dass Jakob bald ginge, damit sie die Sache mit Hilde, Max und Luise bereinigen konnte. Sie hatte eine dunkle Ahnung, dass Lutz etwas mit der
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