KNOI (German Edition)
viele Kerblers an einem Tag verschwänden, sagte der Polizist, das sei man hier in Rohrbach nicht gewohnt. Jakob sagte, dass es sich bestimmt um einen Zufall handle, und da legte der Polizist den Schalter um, da veränderte sich sein Tonfall, wie er denn auf die Idee komme, wieso er ständig versuche, die Situation herunterzuspielen, das erscheine ihm befremdlich. Keine Empathie, keine Neugier, nur ein ständiges Ablenken von den Tatsachen. Einer, der nichts damit zu tun habe, der würde sich doch anders verhalten. Dem würde all das ebenfalls seltsam erscheinen. Ob er eigentlich wisse, dass er sich gerade hochgradig verdächtig mache. Hochgradig, murmelte Jakob und schüttelte den Kopf, wie nur seine Eltern die Köpfe schüttelten. Was er denn über die Vorkommnisse wisse, und Jakob wollte schon fragen, welche Vorkommnisse, ließ es dann aber bleiben. Jakob sagte, dass er sich als Zeuge einvernommen sehen wolle und nicht als Verdächtigter, und der Polizist sagte, dass es ja offenkundig etwas zu bezeugen gebe und er jetzt besser die Karten auf den Tisch lege, eine kriminalistische Untersuchung sei ohnehin sicher. Also, raus damit, ob er wisse, dass die Zurückhaltung von Informationen bereits einen Tatbestand darstelle, und Jakob sagte, dass das Gesetz strenger sei als das echte Leben, worauf der Polizist richtig wütend wurde und sagte, dass auch Amtsträgerverarschung einen Tatbestand erfülle, dass das anders heiße, aber dass genau das gemeint sei, und wenn er jetzt nicht sofort alles, und zwar alles, was er über das Verschwinden der beiden Kerblers wisse, ausspucke, dann würde er ihn nach Rohrbach zitieren und so lange nicht gehen lassen, bis er sich als Rohrbacher fühle. Dann spuckte der Polizist aus, und Jakob verzichtete darauf zu fragen, was er damit meine, er würde sich wie ein Rohrbacher fühlen. Er legte alles auf den Tisch, das Verschwinden von Jennifer, ihre Textnachrichten, die Anrufe von Frau Kerbler, seine nächtlichen Fahrten nach Rohrbach, den Ausflug zu den Waldmenschen, der angebliche Ex-Mann in ihrem Haus. Der Polizist schluckte seinen Speichel. Er sagte, er wisse jetzt gar nicht, wo er zu fragen beginnen solle, auch nicht, ob das überhaupt noch in seinen Kompetenzbereich falle, unterbrach ihn Jakob, was den Polizisten erneut ausspucken ließ. Er sagte, bevor er zu fragen beginne, wolle er festhalten, dass er das grundsätzlich für einen riesigen Haufen Scheiße halte, und zwar alles, was ihm Jakob da auftische. Jakob schluckte und sagte, er wolle seinen Anwalt sprechen, und der Polizist, der sich schon befördert wähnte, erkannte, dass er zwei Gänge zurückschalten musste, sonst gingen seine Ermittlungserfolge ganz schnell auf das Konto der Wiener. Die nahmen den Rohrbachern ohnehin so gut wie alles weg, die Sonne, die Arbeitsplätze, die Frauen, die Jugend, das Geld und natürlich auch den Erfolg. Also beruhigte er Jakob, sagte, dass er natürlich nur Zeuge sei, aber dass er ihm jetzt ein paar Fragen stellen werde, die die Wiener auch stellen würden, nur mit dem Unterschied, dass die Antworten dann auch Konsequenzen hätten. Er solle jetzt endlich zufahren und einmal tief durchatmen. Er wolle ihm schließlich nichts Böses, sondern nur den Verbleib von Marie Kerbler aufklären. Jakob sagte, nichts anderes wolle er auch. Er habe da die schlimmsten Befürchtungen. Er blinkte, wechselte die Spur, und es tat sich eine Lücke auf, in die er mit Schwung einparkte.
- Warum haben Sie nach dem Verschwinden von Jennifer Kerbler nicht die Polizei verständigt?
- Weil ich nicht gedacht habe, dass ihr etwas passiert sein könnte.
- Sie waren gekränkt, dass Sie verlassen wurden?
- Wir sind unter schwierigen Umständen zusammengekommen.
- Hatten Sie gehofft, dass Jennifer Kerbler Sie eines Tages verlassen würde?
- Natürlich nicht.
- Also warum haben Sie nichts unternommen?
- Ich habe etwas unternommen.
- Sie sind nach Rohrbach gefahren. Stimmt.
- Ja, ihre Mutter ist zuständig. Wir waren schließlich nicht verheiratet.
- Sie haben also nicht daran gedacht, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte.
- Sie reden, als wäre sie tot.
- Haben Sie Angst, dass man ihre Leiche findet?
- Ich habe keine Angst.
- Doch, Sie haben Angst, dass man sie lebend findet.
Jakob schwieg, und der Polizist spuckte geräuschlos aus.
- Hat sie Ihnen nie einen Anlass gegeben, die Beziehung zu beenden?
- Das hat jetzt aber mit einem Kriminalfall recht wenig zu tun.
- Warten Sie ab. Beantworten Sie die
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