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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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das Gefühl, dass du mir alles erzählt hast.
    - Darum geht es also.
    - Darum geht es immer. Es war eine einseitige Angelegenheit. Nicht auserzählt!
    Jetzt durchlief sie eine Regung, die sie kurz und plötzlich aufjuchzen ließ. Als könnte man die Überraschung spielen, die ein anderer empfand.
    - Das ist nicht dein Ernst, sagte er.
    Lutz fühlte sich wie gestern, als er vor Max’ versperrter Tür gestanden war. Natürlich war es ihr ernst. Er musste ihr geben, was sie verlangte. Sonst blieb sie. Und was das hieß, das wollte er sich gar nicht ausmalen.
    - Aber dass da noch so viel Erzählbares wartet, das hätte ich mir nicht gedacht. Erstaunlich, Lutz, du überraschst mich wirklich. Wirklich.
    Sie spielte das Erstaunen, als könnte man nicht nur das Spielen von Erstaunen spielen, sondern dieses Spielen auch noch als gespieltes Erstaunen spielen. Lutz spürte, dass ihm ein Schwindel das Bewusstsein rauben wollte.
    - Was heißt
Erzählbares
, Renate? Willst du mich erpressen? Was willst du? Nein, antworte nicht. Du willst, dass ich dir alles erzähle. Du hast gesagt, es wäre einseitig gewesen. Da hast du Recht. Aber das kann man ändern. Austarieren. Verstehst du? Ich erzähle es dir. Das habe ich noch niemandem erzählt, hörst du? Also: Mein Bruder ist bei der Geburt gestorben, wusstest du das? Das war zwei Jahre, bevor ich geboren wurde. Er hat sich an seiner eigenen Nabelschnur erhängt. Begehen Embryos Selbstmord, Renate? Ich weiß es nicht. Ahnen sie, was kommt? Weißt du, dass Lutz nicht mein richtiger Name ist? Es war der Name meines Bruders. Sie haben mir bei der Geburt seinen Namen gegeben, weil sie seinen Tod nicht verkraftet haben. Es hat mich nie gegeben, Renate. Es gibt nur Lutz. Wie bei Jennifer. Die hat es auch nie gegeben. Ich habe sie übrigens Sybille genannt. So gesehen ist nichts passiert. Sybille. Lutz. Wir haben uns immer nur wie erfunden angefühlt. Ich habe diesen Namen nie als den meinen empfunden. Ich hatte eine Schwester, sie hieß Feline. Sie war wunderschön. Ich mochte sie sehr. Mehr als das. Ich spielte ihren Bruder, um in ihrer Nähe zu sein. Ich kämmte ihr Haar. Ich hörte ihr zu. Sie vertraute mir alles an. Niemals hätte sie Verdacht geschöpft, dass ich nicht ihr Bruder war, sondern jemand, der diese Rolle spielte. Nur in der Nacht, wenn sie schlief, durften meine Blicke tun und lassen, was sie wollten. Niemand durfte es sehen. Auch nicht sie. Niemand. Ich war für alle immer der Bruder. Als die anderen Kinder in der Schule Hochzeit spielten, da war ich der Priester, Renate. Verstehst du? Mein Vater hat mit vielen Frauen geschlafen. Nur mit Mutter nicht. Die ging stattdessen schwimmen. Sie hatte einen starken Rücken, der viel aushielt. Selbst als mein Vater krank wurde. So wie deiner, Renate. Krebs. Ich habe ihn so sehr gehasst, den Krebs. Ich wollte, dass mein Vater friedlich einschlafen durfte. Ich wollte ihn in den Schlaf retten. Deshalb bin ich Arzt geworden. Um die Menschen friedlich zum Schlafen zu bringen. Es gibt keine Heilung. Es gibt nur Leid und Linderung. Das ist die Aufgabe eines Arztes. Er ist unter sehr großen Schmerzen gestorben. Habe ich dir meinen Traum erzählt? Dass ich sie mir alle als Puppen bauen lassen werde. Habe ich dir von dem Vereisungsspray erzählt? Und dass ich Anästhesist werden wollte? Fotos wollte ich von jedem schlafenden Patienten machen. In mir steckt ein Künstler, Renate. In mir steckt viel. Aber kein Verbrecher. Ich bin kein Mörder. Das musst du mir glauben.
    Außer Atem nahm Lutz die Tasse mit dem Grüntee. Er trank sie in einem langen Zug aus. Dann stellte er sie hin und sah Renate zappelnd an.
    - Das hast du dir ja schön ausgedacht. Danke.
    - Ausgedacht?
    - Arme Jennifer. Sie war eine gemeine Person. Aber wo ist die Henne und wo das Ei?
    - Renate, glaub mir, mehr gibt es über mich nicht zu erzählen.
    Jetzt musste sie lachen. Es war ein klirrendes, ein schepperndes Lachen. Ein Lachen, das man nicht spielen konnte.
    - Man sollte dich in Embryonalstellung beerdigen!
    Sie kriegte sich kaum noch ein. Die Leute drehten sich schon nach ihr um. Lutz hoffte, sie würde daran ersticken. Doch plötzlich hielt sie inne, als hätte sie jemand angesprayt.
    - Ich bin richtig scharf auf dich, sagte sie, und eine laue Welle glitt über ihre toten Pupillen.
    - Ich auch, glaub mir. Ich fick dich auf den Mond, Renate.
    - Hör auf, sonst muss ich gleich nochmal lachen.
    - Renate, ich würde dich niemals aus purer Höflichkeit ficken. Ich hoffe, du

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