KNOI (German Edition)
enttäuscht senkte. Wo war eigentlich Hilde? Das war doch eindeutig ihr Revier.
- Max, Luise muss noch Gassi gehen. Mach die Tür auf.
Ein brillanter Einfall, dachte Lutz. Solche Ideen kamen einem nur, wenn man schon lange Kinder hatte. Menschen ohne Kinder wären da völlig ratlos. Man wuchs an der Aufgabe. Keine Antwort.
- Max, hier hört sich der Spaß auf.
Lutz seufzte.
- Max, es ist mein Ernst! Wenn du rauskommst, dann können wir darüber reden. Wir sind deine Eltern. Wir sind für dich da. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir beschützen dich. Luise ist doch viel zu klein, um jemanden zu bewachen. Max, was haben wir falsch gemacht? Ich verstehe es nicht! Wir haben dich lieb! Du bist unser einziges Kind. Der einzige Grund. Max, bitte!
Lutz presste sein Ohr gegen die Tür. Wenn er nur einen Atemzug hören würde, dann wäre er schon beruhigt. Ritas Blick hatte sich wieder auf ihn gerichtet. Aber nicht wegen der Tür. Nicht wegen Max. Er wusste es im Moment, als er es ausgesprochen hatte, aber er hatte es sagen müssen, und sie hatte es gehört und verstanden, und auch wenn Lutz nicht er selbst war, als er es gesagt hatte, war es trotzdem wahr.
Der einzige Grund
. Auch wenn es nicht wahr war.
- Max, ich komme jetzt rein!
Er nahm Anlauf und in einem Satz sprang die Tür auf. Luise lief knurrend aus dem Zimmer, Max rief ihr hinterher. Als Lutz auf ihn zuging, nein, auf ihn losging, mit besänftigenden Beschwörungen, da kreischte das eingesperrte Tier, stieß ihn weg, biss ihn. Aber Lutz, der Max immer fester an sich drückte, der sich um Max stülpte, behielt die Ruhe, was Max irgendwann erschöpfte, ihn narkotisierte, und er murmelte etwas, das Lutz nicht verstand, murmelte und murmelte sich in den Schlaf hinein. Dann trug Lutz Max in sein Bett. Er küsste ihm ins Gesicht, legte sich neben ihn und schlief sofort ein.
Es regnete nicht. Es war auch kein sonniger Tag. Eher einer dieser grauen, suppigen Tage, die man schnell wieder vergaß. Lutz war aufgestanden, Max hatte noch geschlafen. In der Wohnung war es still. Er war hinausgeschlichen und ins Taxi gestiegen. Er sah sie schon vom Auto aus in der Auslage sitzen. Sie trug einen grünen Lodenmantel, den sie bis zum Hals zugeknöpft hatte. Ihre Haltung war aufrecht, als bemühte sie sich, Würde zu bewahren. Sie führte die Kaffeetasse steif zu ihrem Mund und –
- 7 Euro 20.
- Stimmt schon.
Er stieg aus, ohne die Augen von ihr zu lassen. Ihr Blick schweifte nicht wie sonst über den Platz, er war auf die Tischplatte fixiert. Ein jeder durfte heute auf die Frau im zugeknöpften Lodenmantel schauen und die stumme Szene beobachten. Eine Schlüsselszene. Doktor Haselbrunner als Renate in
Zurüstungen für die Ausweglosigkeit
. Die ganze Fahrt über wollte ihm der Vorname der Doktorin nicht einfallen. Er ging ohne Umschweife auf sie zu. Er legte nicht ab, setzte sich hin und legte die Hände auf den Tisch.
- Du trägst Handschuhe, sagte sie.
- Warum? konterte Lutz.
Keine Abschweifungen. Kein Geplänkel.
- Warum was?
- Warum bist du mir gefolgt?
Sie neigte ihren Kopf und lächelte puppenhaft.
- Wie bist du denn darauf gekommen?
- War nicht besonders schwer.
Ein Kellner kam. Bloß nicht das Gleiche bestellen wie sie. Sein Grüntee wurde mit einem amüsierten Blick goutiert. Ein neuer Lutz. Gefällt mir. Noch einen Kaffee. Schwarz. Und ein Glas Cognac. Lutz? Nein. Kein Schnaps. Kamera läuft.
- Du machst ja Sachen.
Sie schüttelte den Kopf. Nur ihr Kopf drehte sich, der Rest des Körpers blieb aufrecht und bewegungslos. Ihr entrücktes Lächeln wirkte eingeübt. Ihre Schminke hatte etwas Wächsernes. Wie ein Mensch, der eine Puppe spielt.
- Du siehst anders aus.
- Ich dachte, das gefällt dir.
Sie trug wasserblaue Linsen. Sie war wach, aber nicht bei sich.
- Was wird das?
- Du wolltest wissen, warum ich dir gefolgt bin.
- Bitte.
- Sei nicht so gönnerhaft, das entspricht nicht deiner Situation.
- Welcher Situation?
Ihr Lächeln wirkte nicht triumphierend. Es demonstrierte die Gleichgültigkeit von jemandem, der wusste, was im Drehbuch stand. Sie hatte etwas Gegenständliches an sich. Als könnte man spielen, dass man nur spielt. Der Kellner kam und verteilte das Bestellte enervierend langsam auf dem Tisch. Sie verharrte bewegungslos. Er zappelte mit seinem Fuß. Sie sah ihn an und neigte erneut den Kopf.
- Vielleicht wäre es in deinem Fall besser, wenn du den Mantel ausziehst.
- So weit kommt’s noch. Also. Warum?
- Ich hatte nicht
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