KNOI (German Edition)
weißt das.
- Du verlässt sie. Noch heute. Du sagst ihr, dass du immer mich geliebt hast und dass dir das heute Morgen bewusst geworden ist. So ist es doch, oder? Mein lieber Lutz. Wir werden hier sitzen und gemeinsam Cognac trinken und in den Regen schauen. Es wird herrlich sein. Du musst nicht arbeiten. Ich verdiene genug für uns beide. Und am Abend stelle ich mich schlafend für dich. Gefallen dir meine Augen? Arme Jennifer. Ob sie friedlich schläft im Wald? Ich habe einen leichten Schlaf. Du musst also sehr leise sein. Aber das schaffen wir schon. Jetzt wird es endlich schön, Lutz. Lieber Lutz. Oder wie immer du nun heißen magst.
VIERZEHN
Der Knoi spürte schon den Winter. Seine Müdigkeit nahm zu. Die Luft wurde klarer und aus den Mündern der Menschen traten Schwaden, die jedes Wort flankierten. Bald würde der Knoi der seufzenden Sehnsucht nach dem Winterschlaf nachgeben können. Er würde sich in seinem Knoibau verschanzen, sich zusammenrollen, und wenn er im Frühjahr erwachte, wäre alles, was vor dem Winter geschehen war, vergessen, und es würde ausschließlich die aufgekratzte Gegenwart des Frühlings zählen. Der Knoi würde sich ausstrecken und den Tag genießen, denn weit und breit gäbe es keine Feinde, und an Futter würde es auch nicht mangeln. Der Knoi aß nur Pflanzen. Also legte er sich auf den Rücken, steckte sich einen Grashalm in den Mund und träumte von einem schlechteren Leben, um den Glücksmoment zu steigern.
In diesem anderen Leben schlurfte der Knoi durch einkaufswütige Massen, um an das Tor seines Baus zu gelangen. Zum ersten Mal betrat er ihn im Bewusstsein, dass die Zonz nicht mehr bei ihm war. Zuerst dachte er, es sei nur Wehmut, die er da spürte, doch es war mehr. Es war eine tief sitzende Traurigkeit. Sie war plötzlich aufgetaucht und hatte in wenigen Sekunden seinen gesamten Körper, sein gesamtes Denken und sein gesamtes Gemüt erfasst. Die Erwartung, den ganzen Winter, nein, ein ganzes Leben alleine in diesem Bau zu wohnen, ganz ohne die Zonz, ließ ihn immer langsamer gehen, bis er sich nicht mehr sicher war, ob er überhaupt dahin zurückkehren wollte. Es war ihr gemeinsamer Bau. Trotz aller Widersprüche. Wenn die Zonz die Möbel verschob, brauchte sie ihn. Keinen Tisch konnte sie ohne ihn verrücken. Und er half ihr, obwohl sie sich stritten. Denn die Zonz war die Zonz und damit die einzige Existenz, die für ihn bewiesen war.
Als der Knoi den Bau betrat, atmete er tief ein, aber der Geruch der Zonz hatte sich verflüchtigt. Er hatte, weil die Zonz bei abgestandener Luft ganz zonzig wurde und daher ständig lüftete, die Fenster aufgerissen. Jetzt war es nur noch kalt im Bau. Der Knoi stand gebückt in der Stille und wartete darauf, dass ihm jemand sagte, in welches Zimmer er zuerst gehen sollte, um Dinge aufzuheben, herumzuschieben, aufzuhängen, herunterzuholen, abzuwischen, zurückzustellen. Aber es blieb still, und der Knoi begann mit sich selbst zu sprechen. Denn es gab eine Aufgabe, eine letzte, eine große, eine, die sich über Wochen ausdehnen ließ. Die Zonz hatte ihn beauftragt, die Zonz zu entsorgen. Und zwar völlig, so dass von der Zonz nichts übrig blieb. Der Knoi war noch nie gut im Entsorgen gewesen, und besonders die Zonz war jemand, der schwer zusammenzutragen war. So eine Zonz bestand aus tausenden Dingen, und man würde sich nie ganz sicher sein, ob man die Zonz je vollständig beisammen hätte. Denn die Zonz war ein schwieriger Charakter, viel komplexer und kleinteiliger als der Knoi. In jedem Winkel des Baus fand er einen Zonz-Partikel, und er fragte sich, ob das alles in Summe eine neue Zonz ergäbe. Er fing klein an. Die großen Dinge wollte er sich für den Schluss aufheben. Daher blieben die Kleiderschränke und Schreibtischladen vorerst unberührt. Er durchforstete ihre Musik, ihre Bücher, ihre Filme, ihre Fotos, und dann fand er etwas, von dem er nicht sicher war, ob er befugt war reinzusehen. Auch nicht, ob es der richtige Zeitpunkt war. Trotzdem nahm er das Kuvert aus der Schachtel und begutachtete es.
An J. Kerbler von R. B
. Interessant, dass dieser R. B. ihren Vornamen abkürzte. Er wusste also, wie sehr sie ihn verachtete.
Vorsichtig öffnete er den Brief.
Grace,
die Rohrbacher Nacht ist so klar wie ein frisch geputzter Aschenbecher. Und ich schreibe dir, weil es meine Gedanken nun auch sind. So klar wie dieser sternenlose Himmel, und doch steht da in großen Lettern: WIR GEHEN AUF TOUR. Naja, für die großen Metaphern
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