KNOI (German Edition)
Bewegung, scherzte sie, hielt aber gleich inne, als sie merkte, dass Marie das keineswegs komisch fand. Dann schüttete sie Hermann erneut auf den Tisch und übergab ihr den Staubsauger.
- Es wird Ihnen danach besser gehen. Glauben Sie mir.
Zögerlich nahm Marie den Staubsauger entgegen und begann damit, kreisförmige Bahnen zu ziehen. Sie saugte ein schneckenförmiges Muster in den Aschehaufen. Sie saugte den ganzen Hermann auf und lächelte, was Liane an den Augen erkannte.
- Jetzt Sie, sagte Marie, und Liane schüttete Hermann erneut auf den Tisch. Das wiederholte sich noch einige Male. Sie lachten und überraschten einander mit den ausgefallensten Mustern. Bis Marie plötzlich den Staubsauger an sich riss und sagte:
- Er gehört trotz allem mir.
- Sie haben mich getäuscht.
- Nein, mein Lachen war echt.
- Warum teilen wir ihn nicht?
- Das würde er mir nicht durchgehen lassen.
Liane ging auf sie zu.
- Geben Sie mir den Staubsauger, Marie.
Marie schüttelte den Kopf und machte einen Schritt rückwärts in Richtung Vorzimmer. Liane sah die Schuhe, auf die sie sich zubewegte. Sie standen weit genug von der nächsten Kante entfernt. Es konnte nichts passieren.
- Seien Sie vernünftig, Marie.
Irgendwo hatte sie gelesen, dass man den Namen des Geiselnehmers möglichst oft aussprechen sollte. Auf Marie hatte das aber keine Wirkung. Trotzdem fiel sie über die Schuhe. Sie ließ dabei den Staubsauger fallen, den Liane sofort an sich riss, was Marie nicht akzeptierte. Sie zerrte an dem Gerät, beide lehnten sich zurück, mit vollem Gewicht, bis der Sauger auseinanderbrach, eine Aschewolke aufstob und Hermann auf dem Teppichboden verteilt zum Liegen kam.
- Wenn ich nur mit dem halben Hermann nachhause komme, bringt er mich um, schluchzte Marie unter der Burka.
Liane seufzte. Sie wusste, wie brutal Hermann sein konnte. Sie kniete sich hin und versuchte, den Tyrannen aus dem Teppich herauszusaugen. Sie presste den Sauger möglicht fest gegen den Boden, damit kein Körnchen zwischen den Fasern hängenblieb. Dann leerte sie Hermann zurück in die Urne und übergab ihn Marie. Diese nahm Lianes Hand und führte sie in das dunkle Vorzimmer. Langsam zog sie die Burka von ihrem Gesicht. Wir sehen einander ähnlich, dachten beide.
Marie ging los. Hundsdorf. Landstraße. Feld. Wald. Lichtung. Feld. Wiese. Feldweg. Forststraße. Landstraße. Großbüchsen. Landstraße. Bärndorf. Landstraße. Sturzbach. Wald. Lichtung. Landstraße. Haugschlag. Landstraße. Rohrbach. Landstraße. Wald.
Es war wieder hell geworden. Conny stand vor dem Zelt und streckte sich. Sie trug das Nachthemd, das sie selbst bemalt hatte. Die Zöpfe, die ihr Marie geflochten hatte, waren vom Spiel im Wald bereits zerzaust. Es waren die letzten Monate ihres Kindseins. Man konnte schon die erwachsene Frau erahnen. Die kleine Jennifer lief zu ihr und zeigte ihr einen Pilz, den sie gefunden hatte. Hand in Hand liefen sie zu der Stelle, um mehr davon zu pflücken. Es war schön zu sehen, dass es zwischen den Kindern keinen Argwohn gab. Und die Große nahm die Kleine bei allem, was sie tat, unter ihre Fittiche.
- Schatz!
Hermann lugte hinter dem Zelt hervor. Er winkte Marie zu sich. Stolz präsentierte er den Tisch, den er am Nachmittag fertig gebaut hatte. Sein Blick suchte ihre Kleider ab. Sie lächelte verschmitzt und zog sie aus der Tasche. Er umarmte Marie feierlich, und sie überreichte ihm die Urne. Dann zog sie sich in das lichtdichte Zelt zurück. Sie musste jetzt schlafen, um von einem weniger schönen Leben zu träumen.
NEUNZEHN
Der Knoi ging zum Metzger. Vor ihm in der Schlange stand eine ältere Dame, die den Einkauf für ein Gespräch nutzte. Der junge Mann an der Theke kannte die Frau und fragte, wie ihr das Beiried neulich geschmeckt habe. Sie sagte, sie sei seinen Anweisungen genau gefolgt, aber leider sei es zäh geworden. Dieses Mal wolle sie sich an einer Pute probieren, nein, nicht so viel, sie lebe allein. Sie gehe noch zum Bäcker, aber dann seien ihre Wege für heute leider schon wieder erledigt. Der Fleischer sagte, die Frau habe erst nach dem Tod ihres Mannes zu kochen begonnen. Der Knoi steckte das Fleisch in die Tasche und ging zum Änderungsschneider. Dort saßen acht Araber auf engstem Raum und nähten. Es waren große Männer, die allesamt weich vor sich hinlächelten. Wenn jemand hereinkam, wurde er von dem jüngsten, Michael, in Empfang genommen. Michael hatte einen weichen Händedruck und fragte stets nach den Kindern,
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