Knuddelmuddel
wollen sie Geld für die OP ihres angeblichen Sohnes, weil der arme Sohn, von dem sie spätestens beim dritten e-mail-Austausch ein reizendes Foto schicken, ohne die Lebertransplantation in Boston oder New Heaven oder was-weiß-ich-wo nicht überleben kann. Meist sind die Buben auf dem Foto zehn oder zwölf, ein Alter, wo sie nicht mehr wie ein Kleinkind nerven, aber auch noch nicht in der Pubertät sind, wo sie dann ja so richtig anstrengend werden, sondern einfach noch so richtig süß. Andrea hat mal jemanden im Internet kennengelernt, der wollte, dass sie dreitausend Euro für die Einfuhr von Goldbarren für ihn auslegte, während er noch in Marokko oder Nigeria war, und dann wollte er nachkommen und sie heiraten. Also läuft nicht. Die Masche zieht bei mir nicht.
„Gute Nacht“, sage ich fest und schiebe die Tür zu.
„Ihre Mutter hat mir schon gesagt, dass Sie für Überraschungen nicht so zu haben sind“, sagt der Mann. „Aber ich wusste wirklich nicht wohin.“
Was hat denn meine Mutter damit zu tun? Ha, guter Trick, aber ich falle da nicht drauf rein.
„Raus, endgültig“, sage ich und mir wird in dieem Moment klar, dass das schon der zweite Mann ist, den ich in dieser Nacht rausschmeiße. Das wird als die Nacht in die Geschichte eingehen, in der ich zwei Männer aus meiner Wohnung warf. Mir hüpfen sie garnicht wie nasse Frösche aus der Hand, ich muss sie nachts aus der Wohnung werfen. Sogar zwei in einer Nacht.
„Warten Sie“, sagt der Mann. „Sie haben ja recht, geben Sie mir noch eine Minute, und ich erkläre es Ihnen.“
Mmhh, irgendwie denke ich jetzt nicht mehr, dass er der Axtmörder ist. Ich meine, wenn er es wäre, dann hätte er doch schon längst zugeschlagen und nicht so lange rumgeredet, oder?
„Zeit läuft“, sage ich. „Eine Minute.“
„Viele Grüße von Helene Schmidt, Sabine Timm, Andrea Resse, Jana Holt und ihren Ex-Kollegen aus der Buchladen“.
In diesem Moment geht das Licht im Treppenhaus wieder an.
„Ist da unten alles in Ordnung, Elke?“, Evelina steht auf dem Treppenabsatz und sieht nach unten, das Handy telefonierbereit in der Hand.
„Ja, alles in Ordnung“, rufe ich nach oben und hoffe, dass das stimmt. Aber irgendwie sieht es doch so aus.
„Also gut, kommen Sie rein“, ich öffne die Tür jetzt richtig und lasse den Mann in die Wohnung. Erst jetzt sehe ich, dass er Handgepäck und Koffer hat. Er läßt sein Gepäck in der Diele stehen und dann setze ich ihn im Wohnzimmer auf die Couch. Er sieht sich um. Sein Blick fällt auf das Klavier.
„Ihre Mutter macht sich übrigens große Sorgen um sie“, sagt er. „Stimmt das, dass sie nachts in einer Bar Klavier spielen?“
„Ja“, sage ich. „Ich spiele in einer Blues Bar Klavier“.
„Würden Sie mir irgendwann mal was vorspielen?“, fragt der Mann.
„Nicht um diese Zeit“, sage ich. „Sonst haben wir gleich alle Nachbarn hier.“
„Nein, natürlich nicht“, sagt der Mann. „Und entschuldigen Sie bitte nochmal, dass ich hier um diese Zeit aufgekreuzt bin, ich wusste einfach nicht, was ich sonst machen sollte und ich wollte die Nacht nicht auf dem Flughafen verbringen. Aus dem Alter bin ich raus.“
Das stimmt, er ist wohl so in meinem Alter, ein zwei Jahre jünger oder älter, das ist schwer zu schätzen. Und er macht einen netten Eindruck. Kurze Haare, aber nicht so kurz wie diese neumodischen Fast-Glatzköpfe, die man jetzt so viel sieht. Ein dunkles Blond. Blaue Augen. Ein helles Blau. Unrasiert, was nach diesem für ihn langen Tag und nach so vielen Stunden unterwegs kein Wunder ist. Schöne Hände. Kein Ring. (Also echt Elke, erst den Mann für den potentiellen Axt-Mörder halten und sobald sich herausstellt, dass er weder ein Mörder noch ein Einbrecher ist, den Ringfinger kontrollieren. Ts ts ts. Was ist mit dem neuen Motto, lieber alleine? Ts ts ts).
Ich hole zwei Gläser aus der Küche und eine Flasche Rotwein. Es ist ein markenloser Rotwein aus der Region Dao-Lafoes, den die Tochter einer Freundin von Evelina auf einem kleinen Hobby-Weinhof in der Nähe von S Pedro Sul produziert. Das ist irgendwo in der Nähe von Viseu, also ziemlich im Norden des Landes, aber noch nicht ganz im Norden. Der Wein ist überhaupt nicht im Handel, sondern wird über eine Kette von Verwandten verschenkt und in Umlauf gebracht. Das ist exklusiv. Und der Wein ist gut.
Ich schenke uns Wein ein und setze mich in den Sessel gegenüber von dem Sofa.
Der Mann probiert den Wein.
„Der ist gut“,
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