Knuddelmuddel
sicherer Brotberuf gedrängt hat. Zwei Medizinstudien – das würde ja misstrauisch machen. Aber Medizin und Musik, das klingt gut. Jens ist Speditionskaufmann, und er hat viele Jahre in einer Spedition in Bremen gearbeitet, viele Transporte in den Osten, Polen, Russland, das war nicht einfach, da verschwand immer mal was, nicht nur die Laster, oder die Fracht, oder Laster mitsamt Fracht, sondern auch durchaus mal ein Fahrer. Nach seiner Scheidung hat er sich dann vor zehn Jahren mit einer Weinhandlung selbständig gemacht. Sein Schwerpunkt sind portugiesische Weine. Er reist zwei-dreimal im Jahr nach Portugal, besucht Weingüter und bestellt Weine für seinen Laden. Er spricht daher sogar ein bisschen portugiesisch. Nicht viel, nicht gut, aber er kann sich verständigen und er kennt sich in Portugal aus. Lauter Pluspunkte.
Er sieht normal und vernünftig aus. Kein Schönling, kein Playboy, aber attraktiv. Einfach ein netter Mann. Schlank, sympathisch, nett. Man spürt bei ihm eine bestimmte Zurückhaltung, die ich als total angenehm empfinde. Na ja, wenn er ein Großkotz gewesen wäre, auf den ersten Blick sichtbare Totenkopftätowierungen gehabt oder ein Goldkettchen getragen hätte, dann hätte ich ihn sowieso nicht in die Wohnung gelassen, das ist auch klar.
Er hatte nach der Scheidung ein paar kurze Beziehungen, aus denen nichts geworden ist, wessen Schuld das auch immer war, und war dann ein paar Jahre lang alleine. Jetzt überlegt er, ob er nicht doch wieder eine feste Beziehung möchte. Aber es ist garnicht so einfach, im normalen Alltag eine nette Partnerin zu finden. Deswegen hat er auf die Anzeige geantwortet. Auf eine der Anzeigen. Auf welche, frage ich ihn. Auf die Anzeige von Jana und den Kollegen aus der Buchladen. Wegen der Stichworte Lissabon und Reisepartner. Jens würde gerne wieder mehr reisen, aber alleine ist das nicht so toll. Er träumt davon, einmal mit dem Auto durch Kanada und Alaska zu fahren, ein Traum seit seinen Jugendtagen, er hat unendliche Bücher über Alaska gelesen, Dokus gesehen und in Gedanken hat er die Fahrt schon zigmal gemacht und geplant, und wenn er es nicht bald in der Realität macht, ja wann denn dann? Sowas muss man machen, solange man noch gut beieinander ist, im Körper und im Kopf. Jens will bis hoch nach Fairbanks, na vielleicht nicht ganz bis hoch nach Fairbanks, aber zumindest bis Anchorage, dann über die Kenai-Halbinsel, vielleicht bis nach Homer, vielleicht noch ein Abstecher nach Seldovia oder sogar zu den Aleuten und dann das Auto in Anchorage verkaufen und zurückfliegen. Er hat sich die ganze Reise schon ausgemalt, hat geplant, und geträumt. Ein ganzen Sommer lang unterwegs, mit Auto, Zelt und Kanu, das muss doch toll sein, sagt Jens.
Wie gesagt, das Komitee hat ganze Arbeit geleistet. Der Mann hat Pläne, er hat Ideen, er ist unterhaltsam.
Der Mann ist perfekt.
Und jetzt? Tja, weiß nicht.
Ich höre die Dusche laufen. Da werde ich wohl einfach noch ein Weilchen hier im Schlafzimmer bleiben und e-mails gucken. Noch eine kleine Auszeit, ehe ich der potentiellen Zukunft ins Auge sehe.
E-mail von Bine:
Und???
Du musst zugeben, er ist perfekt. Außerdem heißt er Jens Neumann. Neu-Mann, verstehst du? Wie in neuer Mann. Das ist ein Zeichen. Und es waren siebenundsiebzig plus siebenundsiebzig Antworten, das sind hundertvierundfünfzig Antworten. Wenn man das zusammenzählt, also die einzelnen Ziffern, also eins plus fünf plus vier, dann ergibt das zehn. Und eins und null sind eins.
Und die EINS steht in der Numerologie für ANFANG.
Noch ein Zeichen!
Mach was draus! LG Bine
E-mail von mir an Andrea:
was ist denn mit Bine los? ist die jetzt auf dem Eso-Trip oder was? lg von elke
(Und das von mir, der Frau, die nachts beim Zappen immer wieder im Astro-Kanal hängenbleibt. Gut, dass das keiner weiß. Ein Vorteil vom Alleineleben übrigens, man kann sich schamlos durch alle Kanäle zappen und im Astro-Kanal hängenbleiben und niemand wird es je erfahren, wenn man es nicht selber verrät).
E-mail von Andrea, postwendend:
Immer noch besser Eso-Trip statt Ego-Trip!
Bine war vor zwei Wochen auf einem Wochenendseminar mit einem Amerikaner aus Portland. In diesem Seminar haben sie gelernt, sich die Zukunft durch Visualisieren selber zusammenzubasteln. Man malt sich einfach ein paar Minuten am Tag aus, wie die ideale Zukunft werden soll und dann werden die Gedanken mit einer rosa Wolke umhüllt und ins Universum geschickt wie
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