Knuddelmuddel
Es stellt sich nämlich heraus, dass Vasco und Rui beide fantastisch Fadogitarre spielen. Und Ricky singt Fado, das wußte ich garnicht.
Ricky singt drei Fados, dann singt meine Ex-Kollegin Teresa und Ricky mixt wieder Cocktails hinterm Tresen und fachsimpelt weiter mit Jens über den Unterschied von Douro- und Dão-Weinen.
Teresa hat auch eine gute Stimme, wer hätte das gedacht.
Ich gehe zum Tresen und Ricky drückt mir einen Caipirao in die Hand. Nicht zu verwechseln mit Caipirinha. Caipirinha ist ein brasilianisches Mixgetränk. Caipirao ist ein portugiesisches Getränk aus Likör Beirao, Zitrone und zerstoßenem Eis. Das wird mein letzter Caipirao in diesem Jahr sein, ich finde, es ist ein Sommergetränk und jetzt wird es Herbst, in der Ferreira Borges liegen schon die ersten Blätter auf der Straße und nachts weht ein kühler Wind. Likör Beirao ist ein Kräuterlikör, man weiß nicht genau aus welchen Kräutern, denn das Rezept ist geheim und wird es wohl immer bleiben.
Rui und Vasco spielen Gitarre.
Teresa singt von unerfüllter Liebe.
Denn darum geht es beim Fado, um Sehnsucht und unerfüllte Liebe. Es geht im Grunde immer nur um das Eine.
„Fado“, sagt Ricky und schenkt Jens noch ein Glas Rotwein ein, „ist die portugiesische Antwort auf amerikanischen Blues.“
„In anderen Ländern trifft man sich, um gemeinsam zu lachen“, sagt Bruno. „In Portugal trifft man sich, um gemeinsam zu weinen.“
„Da zitiert er mal wieder Miguel Torga“, sagt Ricky.
„Ja, die Geschichten von Miguel Torga, die lese ich auch gerne“, sagt Jens. „ Die Erzählungen aus dem Gebirge sind einfach klasse.“
„Das ist nicht von Torga“, sagt Bruno. „Die Erzählungen aus dem Gebirge schon, aber der andere Spruch, der nicht.“
„Aber trotzdem“, sage ich. „Was macht das denn für einen Sinn, warum soll man sich treffen, um gemeinsam traurig zu sein?“
Ich bin nämlich immer noch, trotz allem und überhaupt, die ewige Happy-End-Maus, die Frau, die sich einen Film nur dann ansieht, wenn er ein Happy-End verspricht. Wozu denn noch extra leiden. Reicht doch so schon, im realen Leben, finde ich. Obwohl – die schwarze Romantik, die hat natürlich was ...
„Weil es nichts Schöneres gibt, als stilvoll zu leiden“, sagt Ricky. „Und das kann man beim Fado einfach ganz besonders gut.“
Teresa beendet ihr Lied und Bruno geht zu den beiden Gitarrespielern. Er redet kurz mit Vasco und Rui, die beiden nicken, ein kurzer Akkord, ein paar Worte und Zeichen und dann setzt die Begleitung ein. Bruno singt. Er hat auch eine schöne Stimme. Ricky hört auf, über Weine zu reden und hört einfach zu. Jens dreht sich zur Bühne und hört auch zu.
Ich trinke einen Schluck von meinem Caipirao. Wie heißt es doch so schön? Es ist bekannt von altersher, wer Sorgen hat, hat auch Likör. Liebe und Leiden. Likör und Fado. Booze and Blues. Ach ja.
„Ich schlafe nicht mit Ricardo“, sagt Teresa plötzlich neben mir.
„Wer ist denn Ricardo?“, frage ich.
„Unser Chef“, sagt Teresa. „Wir haben keine Affäre. Wir sind treu. Also unseren Ehepartnern.“
In diesem Moment wird mir zum ersten Mal der Zusammenhang von Liebe und Masochismus klar. Anders ist das doch garnicht zu erklären. Warum setzen wir uns diesem Knuddelmuddel aus? Freiwillig? Und immer wieder? Was wird immerzu in Liedern besungen, in Filmen gezeigt und in Büchern beschrieben? Das Leiden in der Liebe. Selbst in Filmen mit Happy-End geht es doch darum. Denn warum sonst wird anderthalb Stunden lang das Leiden der Beteiligten gezeigt und sobald das Leiden vorbei ist und sie mit einem Kuss erlöst sind, ist der Film zu Ende.
Als wir nach Hause gehen, geht gerade die Sonne auf.
Teresa und der Chef gehen direkt in das Reisebüro. Sie haben die Nacht zusammen verbracht, aber sie sind ihren Ehepartnern treu gewesen (oder nicht? Und was ist Treue eigentlich? Na, da denke ich um diese Zeit morgens nach einer so langen Nacht nicht wirklich drüber nach).
Evelina nimmt Rui mit nach Hause. (Wenn man einen Ex mit nach Hause nimmt, ist man dann wieder zusammen? Denke ich um diese Zeit auch nicht drüber nach.)
Und ich habe Jens an meiner Seite.
Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für den alles entscheidenden Kuss? Vielleicht nicht. Ich bin voll von Blues und Fado, ich bin in einer merkwürdigen Stimmung. Eine Art von betrunken ohne Alkohol. Oder sagen wir: kaum Alkohol. Vielleicht ist es trotzdem besser zu warten, denn schließlich ist morgen auch noch
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