Knuddelmuddel
angedeuteten Verbeugung. Ich gleite übergangslos von What a difference a day makes zum Walzer der Amelie, nur um Evelina ein bischen zu foppen und Evelina kommentiert es erst mit einem Blick in meine Richtung, dann mit hochgezogenen Augenbrauen und einem fragenden Blick auf Jens am Tresen. In ihren Augen die Frage: Ist er das, der Mann von letzte Nacht, der Mann im Treppenhaus? Ich nicke und vertiefe mich weiter in den Walzer. Ich koste die schwarze Romantik dieser Melodie so richtig aus. Dieser melancholische Walzer kann einen fast davon überzeugen, dass Leiden auch etwas Schönes sein kann. Die Tür geht wieder auf und Teresa kommt mit unserem Chef in die Bar. Also mein Ex-Chef, ihr jetzt-Chef.
Was macht Teresa hier? Es ist das erste Mal, dass sie hier bei uns in der Blues Bar ist, und dann noch mit dem Chef. Dabei sind sie beide verheiratet und zwar nicht miteinander. Wie Lord Byron und Lady Lamb, meine Güte ist das lange her, dass ich da in Sintra war, auf der Hochzeit, wie die Gedanken aber auch manchmal laufen ... Im Büro siezen sie sich, die Teresa und der Chef, oder haben sich doch immer gesiezt, solange ich noch dort war, aber hier wirken sie sehr vertraut miteinander, sitzen eng nebeneinander, der Chef flüstert Teresa etwas ins Ohr, Teresa lacht. Sie sitzen auf einer Bank, nebeneinander, es ist die Ecke, wo ich immer mit Tom und João saß. Ja – wo gestern noch der João saß. Und natürlich saß ich dort nicht mit Tom und João zusammen, sondern nacheinander mit jeweils einem, in einer seriellen Polygamie oder wie das heißt.
Der Anblick lässt eine Affäre bei Teresa und dem Chef vermuten und schon denke ich wieder an Lord Byron und seine Affäre mit Lady Lamb, die Gedanken laufen von Byron zu Sintra, von Sintra zum Park mit der steinernen Statue, zu dem Sekt und meinem Sturz und schon bin ich bei Claudio, obwohl der Mann, der im Moment bei mir auf dem Sofa schläft, allerdings nicht bei mir im Bett, sondern auf dem Sofa, also – äh – also der Mann auf dem Sofa heißt Jens. Aber der Mann im Herzen, in der Seele, in Gedanken heißt anscheinend immer noch Claudio. Mist.
Nach dem Walzer der Amelie mache ich eine Pause und während die Blues Bar eine Weile ohne Musik auskommen muss, setze ich mich zu Evelina. Eigentlich bewundernswert, um diese Zeit ist die alte (ja, äh, man muss das schon so sagen: alte, denn mit achtzig ist man wirklich alt. Ich bin vielleicht älter, leider, schon, aber Evelina ist wirklich alt) Frau noch in einer Blues Bar. Ich mache Evelina ein Kompliment in dieser Richtung.
„Ach, weißt du“, sagt Evelina. „In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel Schlaf, da kann ich doch das Beste draus machen.“
Dann stellt sie mir Rui vor, ihren Ex, das ist der andere Mann, der mit ihr und Vasco unterwegs ist. Vasco und Rui sind irgendwie miteinander verwandt, eine Art von Verwandheitsgrad, der so kompliziert ist, dass ihn Familienfremde weder verstehen noch sich merken können, irgendwas wie Großneffe und Großonkel angeheiratet um drei Ecken, und eigentlich spielt es ja auch keine Rolle.
„Du triffst dich mit deinem Ex?“, sage ich zu Evelina.
„Ja“, sagt Evelina. „Er kommt ab und zu nach Lissabon und dann gehen wir zusammen essen. Aber ich wasche nicht für ihn und ich koche nicht für ihn.“
Evelina zeigt auf Jens, der an der Bar sitzt und mit Ricky über den Unterschied von Douro- und Dão-Weinen fachsimpelt, und fragt: und ist er das, der Mann von letzter Nacht? Ich erkläre ihr, wer Jens ist und wie er zu mir gekommen ist.
„Er sieht nett aus“, sagt Evelina.
„Nicht nur das“, sage ich, „er ist nicht nur nett, er ist perfekt“.
„Und jetzt?“, fragt Evelina.
„Ich weiß nicht“, sage ich. „Ich weiß noch nicht.“
Ich setze mich wieder an das Klaiver und spiele noch ein paar Songs, Klassiker von Nina Simone und Cassandra Wilson, ich singe nicht, aber ich kenne die Texte und ist interessant, wie alle Liedtexte eine Bedeutung bekommen, sobald man irgendwie in diese Liebesdinge verwickelt ist, in das tägliche Kuddelmuddel-Knuddelmuddel. Es ist wie beim Cosmo-Canal, man denkt immer, man ist gemeint, denn alles trifft auf einen zu. Das zeigt natürlich auch, dass wir da wirklich alle im selben Boot sitzen. Das hat etwas Tröstliches. Aber wirklich besser geht es einem deswegen trotzdem nicht.
Um zwei schließt Ricky die Bar, offiziell, und ich kann aufhören Klavier zu spielen, aber inoffiziell ergibt sich plötzlich eine private Party.
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