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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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bestieg. Die letzten Jahre hatte sie im Kerker von Shrewsbury verbracht, und selbst in Gefangenschaft wurde sie gerichtsnotorisch, weil sie gemeinsam mit einunddreißig weiteren Häftlingen den Aufseher Joseph Loxdale gedrängt hatte, Seine Lordschaft Viscount Sidney schriftlich zu bemühen mit dem Hinweis, wie überfüllt dieses Gefängnis sei und dass täglich neue Verbrecher in die Zellen gebracht würden und dass er doch, wenn es ihm beliebe, daran denken solle, dass man, falls ein Kerkerfieber oder eine andere ansteckende Seuche ausbrechen sollte, die Kranken aus Platzmangel nicht isolieren könnte, und er möge doch, aus Fürsorge für die Gemeinde der rechtschaffenen Menschen, die sich auf der anderen Seite der Mauern zu Recht vor diesem Seuchenherd fürchte, und, wenn es ihm beliebe, auch aus Mitleid für jene Gefangenen, die seit drei Jahren ohne Hofgang aneinandergekettet lägen, die Kerkerhaft baldmöglichst erlassen und die Strafe in Tod durch Erhängen umwandeln.
    Aber das wäre nicht in seinem Sinne gewesen. Seine Lordschaft war barmherzig und gab diesen Sündern eine letzte Chance.
    Am Ende der Welt, auf den Antipoden, sollten sie eine Kolonie errichten und durch Arbeit und mit Gottes Hilfe auf den Weg des Heils zurückfinden. Auch jene, die verreckten oder bereits die Überfahrt nicht überlebten, hatten dem Königreich einen Dienst erwiesen und die Krone von der Sorge entlastet, die von den Kerkern ausging, in denen sich der Abschaum des Reiches sammelte.
    Sie fuhren die Themse hinauf, an diesem linden Maitag, um Kent herum nach Portsmouth. Von dort, das war der Plan, um die iberische Halbinsel nach Teneriffa, wo man zum ersten Mal die Vorräte auffüllen würde. Dann über den Atlantik nach Rio de Janeiro und mit den Kreuzwinden zurück ans Kap der Guten Hoffnung zum letzten Landgang, bevor die Flotte in die südlichen Gewässer vorstoßen konnte, über den Wendekreis des Steinbocks, weiter östlich an den Gewürzinseln vorbei, hinab, hinab, eine Woche um die andere, und noch eine Woche und noch einen Monat, durch die Ewigkeit des Ozeans – einem Ort zu, wo das Gras grün, das Meer voll von Fischen und die Erde fruchtbar sei, wie es der selige Captain Cook beschrieben hatte. Man erhoffte sich fette Böden, die Flachs und Baumwolle für die Segel und Takelagen der Schiffe liefern sollten, mit denen die Krone die Weltmeere beherrschte. Eine Küste, die beinahe zu üppig schien für diese Abgefallenen, und läge sie nicht auf dreiunddreißig Grad südlicher Breite, man hätte die Verdammten um ihre neue Heimat beneiden können.
    Ralph Clark jedenfalls, ein Sergeant auf der ›Friendship‹, hielt diese Elenden, mit denen er eingesperrt war, für glücklicher als sich selbst, er, dem sein Kommandierender Captain James Meredith verboten hatte, die letzte Nacht vor dem Ablegen an Land in den Armen seiner Liebsten zu verbringen.
    Er verkroch sich in einen stillen Winkel, starrte auf das Bild seiner Alicia, verlor sich in ihren Locken, den Augen und den papierenen Wangen, bevor er sich zurück in den Dienst zwang und seinen Vorsatz aufnahm, ein nüchternes Tagebuch zu schreiben, sachlich die Vorkommnisse zu berichten. Aber was er aufs Papier brachte, waren Worte der Verzweiflung und der Angst im Angesicht der Einsamkeit, die ihn erwartete, Verwünschungen eines bitteren Herzens, ein Liebender, der sich nach den Armen seiner Frau sehnte. Kein Verbrecher trat diese Reise mit größerem Unwillen an als er, der die beste aller Frauen und seinen kleinen Sohn zurückließ, um einen Haufen Dreck ans andere Ende der Welt zu geleiten. Kein Sterblicher, dessen war er sicher, war unglücklicher als er, als frühmorgens um fünf Uhr, an einem 13. Mai, die ›Sirius‹ das Signal blies, man die Leinen löste und die Anker lichtete.
    Das Ufer blieb nah und damit auch Clarks Hoffnung. Wenn die Flotte doch nur in Plymouth oder Torbay anlegen würde, damit er Alicia und seinen süßen Sohn noch einmal in die Arme schließen könnte! Herr, schrieb er, schick ihnen Gesundheit und Wohlergehen!
    Er besann sich – wie sollten sie auch reisen können, und wie hätte er sie sehen können, der verliebte Soldat. Aber einen Brief würde er aufgeben können – aus Plymouth sollte es Nachricht geben!
    Aber ein grausamer Wind verwehrte Clark das Glück und trieb das Schiff vom Ufer weg, den Brief hinaus auf die See, von wo keine Kunde drang.
    Auf dem offenen Meer, nach Tagen der Verzweiflung und der Sehnsucht, besann sich der Soldat

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