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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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den blauen Dunst über der Bucht stieg und aus den Fenstern die Feuer leuchteten, dann schien dieser Vorposten am Ende der Welt fast ein Abbild der Heimat zu sein, malerisch wie eine Landschaft in Kent oder Cornwall. Und man hätte glauben mögen, bei dieser Siedlung handle es sich um ein Zuhause, einen Ort der Zufriedenheit und des Gottvertrauens, der satten Kinder und der zärtlichen Lieder. Aber die Verdammten lebten im Dreck, sie fraßen Ungeziefer, und das Ungeziefer fraß sie, der Fraß war verrottet, wenn er nicht versalzen war, sie besoffen sich, sooft sie Gelegenheit dazu hatten, und wenn auch mit jedem Tag, mit jeder Woche die neue Welt deutlicher Gestalt annahm, so blieben die Menschen doch dieselben, dieselben Ängste, dieselben Leidenschaften führten sie am Zügel. Sie konnten nicht von ihren Trieben lassen, sie wollten geliebt werden, und wohin das Begehren fiel, konnte keiner wissen, aber wer einmal angesteckt war, nahm jede Gefahr auf sich. John Fisher, ein Seemann von zwanzig Jahren, sprang in einer kalten Winternacht über Bord, um bei seiner Liebsten zu sein, einer Verdammten, deren Name unbekannt geblieben ist. Schon auf der Überfahrt waren die beiden sich nähergekommen; John Fisher hatte der Frau ein Kind gemacht. Eines Nachts sprang er über die Reling, schlich sich zu den Zelten des Frauenlagers, holte sein Liebste und ging mit ihr in die Wildnis. Sie legten sich in den Tau, sprachen, liebten sich die ganze Nacht, bis draußen auf dem Meer der Morgen graute. Dann nahmen sie Abschied – aber am nächsten Tag erkrankte John, konnte seinen Dienst nicht antreten, zwei Tage später war er tot. In jener Zeit, an jenem Ort zu sterben bedurfte keiner Sünde und keines Talents, gleichwohl glaubten seine Offiziere, er habe sich in der Liebesnacht den Tod geholt, es sei dies die gerechte Strafe für seine Lüsternheit.
    Sein Schicksal teilte er mit James Bulmore, der sich einen Faustkampf geliefert hatte, gegen fünf Uhr morgens, in einer Lichtung etwas abseits des Lagers. Sein Gegner war James Baker, als Sekundanten Haynes und Asky, und sie wollten an diesem Morgen ein für alle Mal klären, wer bei Abwesenheit ihres Mannes die Nächte mit der gewissen Mary Phillips verbringen durfte. Sie reichten sich die Hand, kämpften eine Runde, zwei, nach der zwölften gaben sie sich wieder die Hand, und wie das sportliche Ergebnis ausfiel, ist nicht überliefert, sicher ist, dass Bulmore am nächsten Morgen das Lazarett aufsuchte, wo er in einen Zustand der Unruhe, der Verwirrung und der Angst fiel. Zwei Tage später fand John White, der Arzt der neuen Kolonie, die Augen Bulmores aufgerissen und seine Pupillen erweitert, doch auf die Frage, ob ihn jemand verprügelt habe, schüttelte der Mann nur den geschwollenen Kopf und meinte, eine Erkältung müsse der Grund für seine Leiden sein. Am nächsten Morgen fand der Arzt seinen Patienten auf seinem Lager, schon steif und starr.
    Die ersten Kinder wurden geboren und getauft, der Gouverneur verheiratete jeden, der darum bat. Für Ralph Clark, den Sergeanten, glich das Lager trotzdem einem Hurenhaus. Sobald sich ein Mann von einer Frau erhoben habe, so schrieb er in sein Tagebuch, lege sich auch schon der nächste zu ihr. Er selbst küsste weiterhin seine Alicia, aber das Protokoll seiner kalten Schmusereien schien von Woche zu Woche mehr der Pflicht als der Leidenschaft zu gehorchen. Stärker als das Heimweh plagte ihn nun ein fauler Zahn, und seine Besinnung verlor er nicht mehr wegen seines blutenden Herzens, sondern weil ihm der Arzt mit dem Zahn auch ein Stück des Kieferknochens aus der Kinnlade brach. Das Zahnfleisch blutete tagelang, es dauerte eine Woche, bis der Sergeant seinen Dienst ohne Schmerzen versehen konnte.
    Dieser Dienst verlangte an einem Tag im Februar, Thomas Barrett zu einem Baum zwischen dem Frauen- und dem Männerlager zu bringen. Ihn hatte man sechs Jahre früher wegen Diebstahls einer silbernen Uhr und von ein paar Leinenhemden zum Tode verurteilt, erst die Gnade des Königs wandelte die Strafe in lebenslange Verbannung um. In seiner neuen Heimat hatte sich dieser Mensch von Silber und Leinen auf Bohnen, Erbsen und Schweinefleisch verlegt, und es fiel ihm die Ehre zu, der erste Mann zu sein, den man in der Kolonie an den Galgen brachte. Es waren nicht die gestohlenen Lebensmittel, die ihm zu diesem Privileg verhalfen; in den Tagen zuvor war im Korps Unmut laut geworden, weil einige Soldaten wegen geringer Vergehen gegen die Disziplin

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