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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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spüren. William Okey und Samuel Davies gehörten dazu. Die beiden sollten Unterholz roden, aber dann verschwanden sie, und das Einzige, was man von ihnen finden konnte, waren Blutspuren in ihrem Zelt. Man fand sie schließlich in einem Mangrovensumpf. Die drei Speere, mit denen man Okey auf den Boden gepfählt hatte, waren nur mit viel Kraft zu lösen. Sein Schädel war gespalten, das Hirn ausgelaufen, die Augen fehlten, von Menschen herausgerissen oder von den Vögeln gefressen. Davies hatte man weniger Sorgfalt geschenkt und ihn nach zwei, drei Hieben verbluten lassen. Die Eingeborenen hatten weder Kleidung noch Zelt angerührt, nur das Werkzeug, das Beil und die Hauen, hatten sie mitgenommen, nur das, was ihnen bei der Arbeit dienlich sein würde.
    Dem Gouverneur gefiel dieses Verhalten nicht, er fand, die Leute hätten sich schlecht benommen, aber gleichzeitig wusste er, dass von ihnen nichts anderes zu erwarten war. Es nützte nichts, ihnen einzubläuen, dass sie die Eingeborenen in Ruhe lassen sollten, sie fanden immer einen Vorwand, um einen Streit vom Zaun zu brechen. Für die Kolonie war entscheidend, dass die Beziehungen zu den Eingeborenen leidlich blieben, und Voraussetzung dafür war Verständigung. So kam der Gouverneur auf die Idee, einen Dolmetscher auszubilden. Und weil er nicht glaubte, einer der Eora könnte sich freiwillig für diese Aufgabe melden, schickte er einen Trupp los.
    Der Mann, den sie ein paar Stunden später gefesselt ins Lager brachten, hieß Arabanoo, und nach einigen Tagen des Geschreis und des Widerstands aß er brav den gekochten Fisch und schickte sich in seine Situation. Man rasierte und wusch ihn, steckte ihn in Hosen und Hemd, und schon bald machte er einen so ordentlichen Eindruck, dass der Gouverneur ihn an seinem Tisch die Mahlzeiten einnehmen ließ. Man musste ihn hindern, nach dem Essen das Geschirr aus dem Fenster zu werfen, Englisch allerdings lernte er nur schwer, aber er schien sich an das Leben mit den Engländern zu gewöhnen. Nur die Auspeitschungen, die man ihn besuchen ließ, erfüllten ihn mit Abscheu und Schrecken, und es muss nach einer solchen Demonstration gewesen sein, dass er sich losmachte und ins Wasser sprang, aber die schweren Kleider hinderten ihn am Schwimmen, bald schon hatten sie ihn eingeholt und in Fesseln gelegt.
    War es der April, der die Eora tötete? War es das Essen, das Wetter, war es ein Gift, das den Sümpfen entstieg, hatte einer ihrer Götter sie verflucht für einen Frevel, hatten sie gegessen, was sie nicht hätten essen, getrunken, was sie nicht hätten trinken, geliebt, was sie nicht hätten lieben dürfen? War es die Sonne, die aus dem Boden die Dämpfe steigen ließ, den Odem des Grauens, der sie dahinraffte, der ihre Reihen dezimierte, dass selbst den Offizieren Tränen in die Augen stiegen und ihnen klamm und unheimlich wurde, wenn sie hinauf in die Blue Mountains schauten, wo abends ein metallischer Schimmer über den Hängen hing, morgens, wenn sie sich in der Ruhe des Waldes ergingen, der dalag wie das Hauptschiff einer monumentalen Kirche. Sie fragten sich, ob im Gemurmel, im Geflüster, im Summen des Landes ein Fluch lag, eine Verdammung, die schon immer auf diesem Land gelegen hatte und die in den letzten fünfzehn Monaten eine Pause eingelegt hatte, und nicht wenige unter ihnen fragten sich, ob der Fluch auch sie treffen werde, wann er zuschlagen würde, auf welche Weise ihre junge Kolonie vernichtet würde, und manch einer musste vor seinem Gewissen abends im Bett eingestehen, dass sie es verdient hätten, keiner hätte sich beklagen können.
    Mitte April hörte man im Lager, dass ein paar der Eora krank am Strand lägen. Der Gouverneur, Arabanoo und ein Arzt eilten hin. Am Strand ein Sterbender zwischen zwei brennenden Reisighaufen, bei seinem Kopf kniete ein Junge von vielleicht neun Jahren, sein Körper mit eitrigen Pusteln bedeckt. Apathisch goss er Wasser über die Stirn des Mannes. Zwei, drei Schritte entfernt von den beiden ein Mädchen, noch nicht lange tot. Daneben wohl die Mutter, ein Gerippe nicht erst im Tod.
    Arabanoo begrub das Mädchen, die Frau schien er zu übersehen, die Männer ließen sie liegen. Dann brachten sie den Mann und den Jungen in das Boot.
    Im Lager gab man den beiden eine leerstehende Hütte nicht weit vom Lazarett.
    Man bereitete ein warmes Bad, zog den Kranken frische Hemden an und legte sie zurück ins Bett.
    Der Mann deutete auf seinen Hals, man gab ihm eine Lösung, damit er gurgeln

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