Kobra
aus mit meinen Befragungen der Leute von der Etage?“
Er hat sich Mühe gegeben, alles erledigt, was wir abgesprochen haben. Er hat die Gäste in der „kleinen Etage“ angerufen und meine Begegnungen mit ihnen vereinbart. Gegen halb neun wird er Frau Nilsson zu mir bringen. Eine Stunde später ist das Ehepaar Poletti vorgesehen. Claude Moliére stehe jederzeit zur Verfügung. Er könne jetzt gleichkommen oder am Nachmittag. Die Familie Schultz würde den Nachmittag vorziehen, zu einer Stunde, die mir passt. Herr Neumann habe gesagt, vormittags könne er nicht. Er wolle sehen, für wann seine Besprechungen anberaumt seien, und sich vielleicht am Nachmittag gegen vier freimachen.
Da steht mir ein anstrengender Tag bevor. Ich muss mit den Gästen sprechen, gleichzeitig verfolgen, was unsere Leute noch alles in Delacroix Zimmer finden, Verbindung mit der Dienststelle halten und so weiter. Ich frage mich, wo ich meine Residenz am besten einrichte. Vielleicht im Café auf der Terrasse.
Das ist zwar nicht der am besten geeignete Ort für ein Arbeitszimmer. Hat aber auch seine Vorteile. In so einer neutralen Umgebung spricht es sich leichter mit den Leuten, und sie fühlen sich auch unbefangener.
Der Entschluss ist gefasst, ich verabschiede mich von Legrand, fahre hoch und ich lasse mich im Café nieder.
5.Kapitel
Legrand lässt mich wissen, dass Frau Nilsson sich verspäten wird, was nicht weiter schlimm wäre, wenn nicht die Begegnung mit dem Ehepaar Poletti schon bald darauf folgen würde.
Ich sitze unter einem der Sonnenschirme im Terrassen-Café und versuche, meine Eindrücke dieser Nacht und von den letzten Informationen unter einem Hut zu bringen. Die obligatorische Tasse Kaffee – die zweite an diesem Morgen – hilft mir nicht sonderlich bei meinem Vorhaben. Ich weiß nicht, woraus sie in diesen Hotelcafés den Kaffee herstellen. Aber selbst wenn sie ihn aus reinen Kaffeebohnen kochen, riecht er aufdringlich nach gerösteten Kichererbsen.
Das Café ist fast leer, nur zwei Besucher an einem Tisch, Kellnerinnen mit schwarzen Röcken und weißen Seidenblusen, auf Gäste wartend, ein Gummibaum, der zufrieden mit seinen frisch abgewischten Blättern wedelt. Der Straßenlärm vom Quai bricht sich an den Schirmen und zieht mit leisem Rauschen vorbei. Es ist angenehm hier, meine Entscheidung war richtig. Während ich warte, vertreibe ich mir die Zeit, noch einmal zusammenzufassen, was wir haben. Raphael Delacroix ist tot. Unter merkwürdigen Umständen gestorben. Nicht irgendwann, sondern nachdem er mit seiner Schmuggelware Vorbereitungen zur Abreise getroffen hat. Er wählt für sein letztes Vorhaben ein französisches Vier-Sterne-Hotel, in dem er schon früher abgestiegen ist, geht abends auf sein Zimmer und spritzt sich eine Überdosis Morphine. Damit schließt der erste Akt des Stückes, „Der Tod des Herrn Delacroix“ genannt. Vor dem nichts ahnenden Zuschauer beginnt der zweite Akt. Eine unbekannte Frau ruft an und verlangt den Toten zu sprechen. Offenbar hat der Hauptheld irgendwelche Rechnungen hinterlassen, die in der Nacht beglichen werden sollten.
Offene Rechnungen mag ich nicht sehr. Über die Frauenstimme gibt es zwar einige Vermutungen, aber welche Rolle diese Frau spielt, ist noch nicht geklärt.
Raphael Delacroix ist gestern angekommen. Ich muss in Erfahrung bringen, was er hier gemacht hat, Stunde für Stunde, wo er gewesen ist, mit wem er sich getroffen hat, wer ihn zuletzt lebend gesehen hat. Alles muss rekonstruiert werden, Szene für Szene. Wann Delacroix zu Mittag gegessen hat, wo und mit wem. Wann er ins Hotel zurückgekehrt ist und mit wem. Alle, die ihn gesehen haben, alle, die mit ihm gesprochen haben, müssen ausfindig gemacht werden. Ich brauche einen genauen Fahrplan, die genauen Kontakte. Die Drogen im Container verlangt Genauigkeit.
Die Aufgabe ist schwierig. Niemand weiß etwas, niemand erinnert sich, niemand hat etwas gesehen. In solch einem Fall gleicht die Rekonstruktion des gestrigen Tages der Restauration uralter Mosaiken. Steinchen sind aus den Gesichtern oder gerade den wichtigsten Szenen gefallen, und man sieht nur eine Hand oder eine Bewegung oder etwas, das man gar nicht braucht.
Raphael Delacroix hat also Drogen geschmuggelt, wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, und ist selbst süchtig. Das passt nun schon gar nicht in das Stück. Drogenschmuggler sind nicht süchtig. Und wenn sie so unklug sind, es zu werden, nehmen die Regisseure sie
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