Kobra
will alles mit einem Blick überschaubar haben, die Zettel auf verschiedene Weise hin- und herschieben und sie nach meinen Vermutungen ordnen.
Auskunft über den Preis der Drogen. Ich hatte nicht erwartet, dass das Zeug so teuer ist. Nach internationalem Tarif dreitausendfünfhundert Dollar am Ausgangspunkt in Beirut fürs Kilogramm. Hier in Paris beträgt der Preis das Dreifache. Obendrein verkauft niemand Drogen kiloweise, das Pulver wird mit Laktose vermischt und in kleinen Portionen abgegeben. Eine Dosis fünf Dollar. Delacroix hat genau gewusst, was er macht. In dem Container sind zwei Kilo Drogen – für fünfundzwanzigtausend Dollar.
Auskunft über die übrigen Gäste der „kleinen Etage“. Alle sind zum ersten Mal in Frankreich, mit Ausnahme von Ingenieur Neumann, der recht oft hier war. Man gibt mir die Daten, aber sie sagen mir nichts. Und wer zum Teufel ist die nächtliche Besucherin in 330?
Analyse der Ampullen vom Nachttischchen. Es ist tatsächlich Morphin, wahrscheinlich aus einem nicht registrierten Laboratorium im Nahen Osten. Diese Analyse ist nicht so überflüssig, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Die Beimengungen in dem Narkotikum sind so etwas wie die Visitenkarte der Gegend, aus der der Rohstoff bezogen wurde. Es gibt die forensische Toxikologie, die uns nach der Analyse sagen könnte, ob das Opium für dieses Morphin von den Feldern in Kabul gekommen ist oder aus den Gebirgstälern von Assam.
Doch das ist eine langwierige Arbeit, damit müssten sich einige unsrer Agenten im Ausland beschäftigen. Wenn uns die Analyse jetzt auch nichts nutzt, erlaubt sie einen Vergleich, wenn abermals nicht registriertes Morphin entdeckt wird.
Aus der forensischen Daktyloskopie liegt auch ein Ergebnis vor. Die Fingerabdrücke, die auf der Spritze, den Ampullen, dem Koffer, der Tasche gefunden worden sind, stammen ausschließlich von Delacroix. Aufgefallen ist ihnen, und sie haben es vermerkt, dass auf der Spritze und den Ampullen nur wenige Abdrücke sind. Wer weiß, vielleicht hat er eine ausgekochte Spritze benutzt. Ich möchte sie mir noch einmal ansehen.
Ich nehme den Hörer ab und wähle die Nummer der forensischen Daktyloskopie. Sie möchten die Fingerabdrücke auf der Spritze markieren und sie mir schicken. Eine unbekannte Frauenstimme verspricht es. Der Fall Delacroix beschäftigt offenbar schon mehrere Mitarbeiter in der Forensik.
Ich lege auf, doch im selben Augenblick klingelt das Telefon. Sophie ist dran. Sie berichtet sachlich und methodisch, dass Delacroix um soundso viel Uhr mit einem Flugzeug der Fluggesellschaft „Amira Air“ geflogen ist, dass die Maschine keine Verspätung hatte, um soundso viel Uhr auf dem Flugplatz Athen gelandet ist, fünfundvierzig Minuten Aufenthalt hatte und um zwölf Uhr achtunddreißig in Paris war. Die Angaben hat sie vom Flughafen Paris bekommen.
„Welche Fluggesellschaft, sagst du?“, frage ich. „Das will ich mir aufschreiben.“
„Amira Air.“
Und Sophie, die jede Antwort parat hat, erklärt mir, dass dies eine österreichische Gesellschaft ist und ihr Büro sich in der „Legué“ befindet. Sie gibt mir eine Telefonnummer.
„Sonst noch was?“
Es gibt noch etwas. Man hat festgestellt, dass Delacroix gestern bei Sociéte Générale bei einer der Importabteilungen war. Hat mit dem Mitarbeiter Jules Ledoux gesprochen. Sophie nennt den Namen und wartet. Ich werfe schnell einen Blick in mein Notizbuch. Für den Nachmittag liegt schon zu viel vor, ich kann nicht auch noch zu Sociéte Générale gehen.
„Für morgen Vormittag“, sage ich. „Teil dem Herrn Ledoux mit, dass er bitte morgen Vormittag in seinem Büro sein soll, ich kündige mich vorher an. Möchte mit ihm sprechen.“ Ich gebe Sophie anschließend noch ein paar Anweisungen, die sie mit dem gebotenen Respekt zur Kenntnis nimmt, die aber beinahe nicht nötig sind, weil sie ihre Sache versteht. Ich frage mich, was sie in diesem Augenblick von mir denken mag. Sicherlich etwas von der Art: Da ist der Chef wieder ins Schwatzen gekommen. Und ich übertreib’s anscheinend auch wirklich mit den Anweisungen, denn die Tür meines Zimmers geht auf, und ein anmutiger Frauenkopf erscheint darin. Er gehört der Sekretärin des Ministers, und ihr Auftrag ist, mir zu erklären, dass der Minister schon zweimal nach mir gefragt hat.
Die Szene der Berichterstattung gleicht in groben Zügen der von heute Morgen. Ich sitze wieder im Sessel vor dem Schreibtisch,
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