Kobra
nichts mehr zu tun habe, beschließe ich, die „Amira Air“ aufzusuchen.
Ich habe Glück – dieses Mal ist das Büro geöffnet. Es hätte ja auch geschlossen sein können – der Stil „von 10 bis 12“ hat viele Spielarten.
Drinnen ist alles in hellen, freundlichen Tönen gehalten. An den Wänden gigantische Fotos von Flugzeugen, in Quadrate und Rhomben zerschnitten. Ganz hübsch, aber wirklich ein bisschen ermüdend. Metall und Glas, Sitzmöbel in modernen Formen.
Die Frau, die hinter den Schreibtisch sitzt, ist in ihre Arbeit vertieft – sie spricht ins Telefon und blättert gleichzeitig in irgendwelchen Papieren, und der flüchtige Blick, den sie mir zuwirft, verrät nicht das geringste Interesse an meiner Person.
Ich warte ein Weilchen, gerade so lange, wie es die Etikette vorsieht, und betrachte sie inzwischen. Eine berufsmäßige Gewohnheit – ich möchte abschätzen, mit was für einem Menschen ich es zu tun haben werde. Sie sieht nicht übel aus. Sorgfältig frisiertes helles Haar, schmale, lange Fingernägel, Bronzelack auf den Nägeln, ein elegantes Kleid, in der Farbe zum Haar passend. Ein etwas maskenhaftes Gesicht, ohne Mimik. Ich mag solche Gesichter nicht, sie haben etwas Altägyptisches. Aber ob mir Gesichter gefallen oder nicht, das liegt außerhalb meiner dienstlichen Obliegenheiten.
Die Anstandsminute verstreicht. Ich stehe weiter ruhig da, ohne Ungeduld zu demonstrieren, wie sich das für einen dressierten Besucher gehört. Das wird der Frau schließlich langweilig, und ich höre ein: „Bitte?“
Diese „Bitte“ ist vollberechtigt. In ihr liegt gerade so viel dienstliche Liebenswürdigkeit, dass man sich nirgends beschweren kann, und so viel feine Arroganz, dass einem die Lust vergeht, ein zweites Mal hier einzutreten. Die Arroganz schmilzt auf ein erträgliches Maß zusammen, nachdem ich meine Karte gezeigt habe. Die Frau holt so etwas wie ein Lächeln auf ihr Gesicht und fordert mich auf, Platz zu nehmen.
„Bitte. Womit kann ich Ihnen dienen?“
Ich stelle mich unabhängig von meinem Ausweis vor.
Sie nickt. „Amandine Fenner.“
„Frau Fenner, ich muss unbedingt wissen, ob gestern ein Herr Raphael Delacroix bei Ihnen gewesen ist oder angerufen hat. Er hat ein Ticket nach Wien und wollte heute fliegen.“
„Es rufen so viele an. Sie haben es ja selbst gesehen. Nein, ich erinnere mich nicht.“
Ich hole das Foto heraus.
„Hier, dieser Herr.“
Die Fenner denkt mit zugekniffenen Augen nach. Dies ist offenkundig eine Frau, die sich studiert hat. Sie versteht es, ihre Vorzüge zu unterstreichen und ihre Mängel zu kaschieren. Jede Bewegung ist berechnet, selbst diese Maskenhaftigkeit des Gesichts macht sie sich zunutze, um interessant zu erscheinen. Natürlich gibt es auch Männer, denen ägyptische Fresken gefallen.
Meine Musterung entgeht selbstverständlich nicht ihrer Aufmerksamkeit.
„Delacroix, sagen Sie?“ In ihrer Stimme ist ein Unterton von Befriedigung und weiblichem Hochmut. (Ich weiß, dass ich hübsch bin und vielen gefalle).
„Erinnern Sie sich!“, dränge ich. (Ja, schon, aber ich bin nicht hier, um mich an Ihrem Anblick zu weiden!) „Raphael Delacroix. Gestern Mittag mit Ihrer Maschine aus Beirut eingetroffen. Sehen Sie bitte in der Reservierungsliste nach.“
Das scheint der Frau Fenner nicht sehr angenehm zu sein, aber mein bittender Blick und hauptsächlich die Erinnerung an meinen Ausweis veranlassen sie, in ihrem Computer nachzusehen. Sie tippt ein paar Zahlen ein, und der bronzene Fingernagel wandert die Tastatur auf und ab.
„Die Gestrige“, sage ich, weil sie in der heutigen nachsieht. Aber ich kann auch zufällig Texte lesen, die auf einem schräggestellten Monitor zu sehen sind.
Die Fenner würdigt mich keiner Antwort. (Ich weiß, was ich zu tun habe, reden Sie mir da nicht hinein!) Sie sieht die Liste bis zum Ende durch und dreht die Seite davor um. In diesem Büro herrscht Ordnung, und das muss ich zu spüren bekommen.
Raphael Delacroix’s Name steht auf der Passagierliste.
„Das ist es“, sagt die Amandine. „Delacroix ... ja, ich erinnere mich ...“ Sie will die Seite im Computer zuklappen.
„Darf ich mal sehen, welche Platznummer er hatte?“
Ich warte die Erlaubnis nicht ab, lange ungeniert hinüber und drehe den Monitor zu mir. Jetzt wandert mein Finger die Liste abwärts.
„Das ist doch der Name, nicht wahr?“ Ich sage es wie jemand, der in Sprachen nicht allzu bewandert ist.
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