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Kobra

Kobra

Titel: Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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    In den Augen des Freskos blitzt etwas auf, das, in gesprochene Sprache übersetzt, nicht allzu schmeichelhaft geklungen hätte, aber es ist so tief drin, dass man es kaum wahrnimmt. „Ja. Nummer neun.“ 
    „Ich danke.“ 
    Die Seite wird zugeklappt. Sie hat mir noch etwas verraten: Nämlich dass drei, vier Zeilen unter Delacroix Namen der von Ingenieur Alfred Neumann steht.
    Neumann!
    Als hätte ich’s geahnt! Das passt zu einer meiner Hypothesen, die ich dem Minister dargelegt habe, der verrücktesten. Ich lächle die Fenner aufmunternd an (kann sein, ich bin ein Fläz, aber nehmen Sie’s nicht so genau) und sage: „Sie hatten etwas über Herrn Delacroix angefangen ... Was war das?“ 
    „Ja, mir ist eingefallen, wer das ist. So ein Älterer, Seriöser. Er war tatsächlich gestern da.“ 
    „Was wollte er?“ 
    „Er wollte wissen, ob sein Weiterflug nach Wien ok ist. Alles in Ordnung. Warum, ist er nicht abgesagt?“ 
    „Er ist abgereist!“, sage ich überzeugend. 
    Auf dem Gesicht der Fenner malt sich Erstaunen, soweit das auf diesem Gesicht eben möglich ist.
    „Aber Sie sagten doch ... es müsste ...“ 
    „Eben.“ Ich nicke. „Deshalb überprüfe ich es ja auch. Kann ich die Seite der heutigen Maschine nach Wien sehen?“ 
    Sie starrt mich wie ein unverständliches Exponat in einem Glaskasten an und ruft eine andere Seite im Computer auf. Dieses Mal dreht sie selbst die entsprechende Seite zu mir herum. Ich schaue sie mir an und frage wieder, ob dies der Name sei. Abermals erscheint die Verachtung in den Augen, aber das ist unwichtig für mich. Wichtig ist, dass Ingenieur Neumann auf der Seite fehlt und niemand aus der „kleinen Etage“ darauf steht. Bis hierher ist er also mit Neumann gekommen, fliegt aber allein weiter. Warum? 
    Ich drehe den Bildschirm wieder zurück und führe das Gespräch in geeigneter Weise fort, um die Meinung zu erhärten, die sich Frau Fenner bereits von mir gebildet hat. Danach stehe ich auf, um mich zu verabschieden. Sie erhebt sich ebenfalls. 
    Hat eine gute Figur, die junge Frau. Nur leider ist das ägyptische Gesicht eben doch nicht nach meinem Geschmack.
    Ich trete auf die Straße und gerate nach der Stille im Büro plötzlich auf einen anderen Planeten. Es ist kurz nach fünf, die Behörden haben Dienstschluss. Durch die 5. Avenue und den Quai-Branly strömt eine geräuschvolle, bunte Menschenmenge. Ich schiebe mich hinein, werde gestoßen und stoße selbst mit den unausbleiblichen Entschuldigungen, die niemand hört.
    Ich mag dieses Menschengewühl. Ich mag den Lärm von Paris, meiner Stadt, das schrille Geklingel der Metros, den Benzingeruch, die Autoschlangen, die vor den roten Ampeln warten, die aufgeschnappten Satzfetzen, die Geräusche der Stadt. Das habe ich im Blut, das ist so verwurzelt in mir, dass ich meine, den heutigen Abend schon mehrmalig erlebt zu haben, er kommt mir bekannt vor, wie ein Traum oder eine Wiedergeburt, an die ich mich dunkel erinnere.
    Natürlich gibt es nichts dergleichen. Es gibt keine Wiedergeburt, und das Gefühl, dass ich alles, was ich jetzt sehe, schon einmal genauso und am selben Ort erlebt habe, rührt einzig von meiner Übermüdung her – das weiß ich aus den Vorlesungen über Psychiatrie. Die Belastbarkeit unserer Gehirnkästen hat Grenzen. Hier beginnen die Neurosen.
    Für eine Sekunde geht mir der unsinnige Gedanke durch den Kopf, nach Hause zu fahren und auszuschlafen. Ein Fantasiebild, das sofort verschwindet, als ich die Arbeit überschlage, die noch auf mich wartet. 
    Arbeit bleibt Arbeit. Aber ich kann der Versuchung doch nicht widerstehen und dehne als Entschädigung für den Verzicht aufs Ausschlafen meinen Weg ein bisschen aus und gehe durch den Stadtpark. Hier ist es ruhiger. Auf den Bänken sitzen Rentner und lesen die Abendzeitungen mit der Miene furchtbar beschäftigter Leute. Es ist nicht nett von mir, so zu denken. Die Jahre werden vergehen, und falls ich dann noch am Leben bin, und falls ... Überhaupt, wenn viele solche „falls“ eintreten, dann sitze ich auch so da. Natürlich werde ich „meine“ Bank haben und mich mächtig fuchsen, wenn sich jemand vor mir dorthin setzt. Und werde mit genau solcher Miene eines beschäftigten Menschen die Abendzeitung aufschlagen. 
    Ich setze mich auf eine Bank und entspanne. Vor mir verschwimmen auf dem glattgeschorenen Grün des Rasens pastellrote und gelbe Blumenrabatten. Der Springbrunnen plätschert sacht, es ist sehr angenehm für die

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