Kobra
müsse sie eine innere Hemmung überwinden, hebt aber ab.
Ich höre von fern, wie in der Membran eine Frauenstimme vibriert, die etwas Kurzes sagt. Über das Gesicht von Astrid Nilsson huscht ein Schatten, die Angst wird von Nichtverstehen abgelöst – sie versteht nicht gut, was gesagt wird.
„Wie?“, fragt sie. „Falsch verbunden.“
Die Stimme verstummt. Am anderen Ende wird der Hörer aufgelegt. Astrid Nilsson bleibt noch ein paar Sekunden stehen, dann legt sie auch auf.
„Was war denn?“, frage ich beinahe flüsternd. „Was gibt’s?“
Sie hat sich gefangen. Sie wendet den Blick ab und flüstert ebenfalls: „Es ist besser, Sie gehen. Bitte gehen Sie!“
„Warum?“
„Bitte gehen Sie!“
Und wieder gehe ich durch den Korridor, dieses Mal allein, und frage mich, was wohl geschehen wäre, wenn Sophie zu spät angerufen hätte, um die vorsorglich vorbereitete Aufzeichnung abzuspielen.
Denn da hätte allerhand geschehen können.
15.Kapitel
Der nächste Morgen beginnt wieder mit dem appetitlichen Duft gerösteter Brötchen und meinen Gedanken an die Gäste der „kleinen Etage“. Und mit dem schrillen Telefonklingeln, das nichts Gutes verheißt. Es ist Sophie. Soeben ist von einem Rayon angerufen worden. Heute Morgen ist Amandine Fenner in ihrer Wohnung aufgefunden worden.
„Gefunden?“ Ich will das Geschehene noch nicht wahrhaben.
„Sie ist tot, Dr. Bouché“, sagt Sophie leise. „Sie fragen, ob das was mit uns zu tun hat. Ich habe noch nicht aufgelegt. Möchten Sie mit dem Diensthabenden sprechen?“
„Der Wagen soll sofort losfahren!“, sage ich. „Und verbinde mich mit dem Diensthabenden.“
Ich habe das Gefühl, alles hängt davon ab, wie schnell ich reagieren und etwas unternehmen kann, um das Geschehene zu ändern. Und gleichzeitig begreife ich, dass Versäumtes nicht nachgeholt werden kann. Nicht die Reservierungslisten, die Fenner selbst war wichtig für uns.
Der Diensthabende vom Rayon berichtet, der Schock klingt allmählich ab, ich beruhige mich und beginne die Chancen abzuwägen, die wir bei der neuen Lage haben.
Amandine Fenner ist tatsächlich in ihrer Wohnung Allée le Gramat 4 tot aufgefunden worden. Heute am Morgen hat ihr Nachbar angerufen und gebeten, es möchte jemand kommen und sich die Wohnung ansehen. Er und seine Frau hätten das Gefühl, dass der Fenner etwas zugestoßen sein müsse. Sie sei nicht zur Arbeit gegangen, aber hauptsächlich wegen der Schnur.
„Was für eine Schnur?“, frage ich verwundert. „Hat sie sich aufgehängt oder was?“
„Nein, nein, die Schnur für die Wäsche, Dr. Bouché“, antwortet der Diensthabende. „Wenn Sie herkommen, werden Sie es sehen.“
Ich wünsche diese Schnur zum Teufel, die im Moment völlig unwichtig ist, und verbinde mich wieder mit Sophie, die bereits das Nötige angeordnet hat. Sie fährt los, um mich mit dem Wagen abzuholen.
Die Wohnung in der Allée le Gramat 4 befindet sich in einem nicht allzu großen dreigeschossigen Wohnhaus, einem dieser neuen Wohnhäuser mit der Front zur Straße und einem kleinen Vorgarten ohne Zaun. Ein paar Jungen spielen im Hof Fußball – einer schießt und zielt konzentriert, die anderen laufen ihm nach. Wir fahren an ihnen vorbei, und der Citroën hält ein Stück weiter unten, wo auch der Wagen der Einsatzgruppe steht. Als uns die Jungen sehen, unterbrechen sie ihr Spiel und drängen sich um den Wagen – nicht allzu nahe, aber auch nicht sehr weit weg.
„Die da sind von der Police Nationale!“, sagt ein Knirps im Ton eines Kenners.
„Ja, von der Police Nationale“, bestätigt ein anderer mit Autorität. „Peters hat heute Morgen wieder seine Frau geprügelt.“
Sophie wirft die Citroëntür zu, wir gehen zum Eingang.
Die Kinder versuchen nicht, uns zu folgen, obwohl sie vor Neugier beinahe platzen. Die Erfahrung hat sie anscheinend gelehrt, dass die Police Nationale ihre Arbeit lieber allein tut. Sie machen ihre Bemerkungen, bis wir vorbei sind, dann trotten sie zu ihrem Fußball zurück.
Die Wohnung der Fenner befindet sich in der zweiten Etage. Auf der polierten Messingtafel steht nur ihr Name.
Ein Mann von der Einsatzgruppe öffnet uns, ein Polizist vom Rayon, ich kenne ihn vom Sehen. Er heißt Enzo oder Enzi – ich weiß es nicht genau. Er führt uns in die Wohnung, wo schon zwei Leute arbeiten, beide noch sehr jung.
„Der Capitaine de Police ist nebenan, er spricht mit den Nachbarn“, meldet der Polizist.
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