Kobra
einen Onkel, bloß, mit dem ist sie nicht sehr ... Sie sehen sich fast gar nicht.“
„Wissen Sie seine Adresse?“
„Nein, Dr. Bouché. Er arbeitet im Außenhandel. Fenner. Sie werden ihn leicht finden.“
„Andere?“
Von anderen Verwandten weiß sie nichts.
„War sie mit jemandem enger befreundet?“
„Bisweilen kam eine Kollegin von ihrer Arbeitsstelle. Nina. Aber wie soll ich sagen, sie war ihrem Charakter nach ziemlich verschlossen, sie hatte nicht viele Freundinnen.“
„Und Freunde?“
Ich stelle die Frage Frau Donig, beobachte dabei jedoch den Ehegespons aus dem Augenwinkel. Die Frau wirft ihren Mann einen scharfen Blick zu: Da siehst du, was du mit deinem Gerede angerichtet hast! Er sitzt unerschütterlich da.
„Eine schöne Frau und keine Bewerber, das gibt es nicht. Sie hatte welche.“
„Genauer?“
„Ich weiß, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat ... Claude Seguin heißt er. Ein seriöser Mann, ich habe ihn gesehen. Aber ihr gefiel er nicht so recht.“
Ich werde das im Telefonbuch der Fenner nachprüfen – seine Nummer muss da stehen.
„Andere?“
„Andere wohl kaum. So eine war sie nicht.“
„Red nicht darum herum!“, mischt sich Herr Donig ein.
„Sag auch das von dem Deutschen!“ Er ist offenbar unzufrieden mit der Art, wie seine Frau antwortet. Donig verzieht die Lippen.
„Einmal suchte sie ein Mann auf. Ich sah, wie sie ihm aufmachte. Ich sage Ihnen noch einmal, sie war eine seriöse Frau.“
„Aber hinterher hast du sie gefragt, das konntest du dir nicht verkneifen, wie?“, wirft Donig ein.
„Dir kann man wirklich nichts sagen!“ Frau Donig ist ernsthaft wütend und wendet sich an mich: „Es hat sich im Gespräch so ergeben, nicht, dass es mich was anginge. Sie hat es mir selbst gesagt. Ein Deutscher, war in einer dienstlichen Angelegenheit da, kam aus dem Büro.“
„Beschreiben Sie ihn mir bitte.“
Und Frau Donig beschreibt Neumann.
Man muss fünfzehn Jahre bei der Kriminal Police Nationale sein, um sich nicht mehr über die Beobachtungsgabe der Frauen zu wundern. Eine tausendstel Sekunde genügt, damit alles mit verblüffender Genauigkeit fixiert wird, wenn es sich auf eine andere Frau bezieht. Der Staubmantel grau, moderner Schnitt. Ein großer, blonder Mann, sehr gute Manieren, nur die Augen ...
Wie hat sie es bloß angestellt, seine Augen zu sehen!
Ich höre der Beschreibung zu und während Frau Donig redet, überschlage ich blitzschnell, was ich tun muss. Doch ehe ich aufbreche, möchte ich auf einen Punkt von Frau Donigs Aussage zurückkommen.
„Sie sagten, Ihre Nachbarin sei in letzter Zeit sehr beunruhigt gewesen.“
„So war es.“
„Nur wegen der Unannehmlichkeiten mit ihrem Mann? Die hatte sie doch auch früher, ohne sich deswegen sehr zu beunruhigen.“
Frau Donig denkt nach, und das ist schon recht vielsagend.
„Nicht dass ..., im Allgemeinen ..., sondern so, vielleicht ...“
„Schauen Sie, lassen Sie mich Ihnen helfen“, sage ich. „Sie war gestern beunruhigt und vielleicht vorgestern. Aber davor?“
„Nun wir sehen uns ja nicht oft. Einmal am Tag, manchmal auch das nicht, aber gestern erschien sie mir nachdenklich. Ich habe sie gefragt, was sie hat, und sie sagte, du weißt doch, wieder mit meinem Mann. So war es.“
Ich breche auf, der Capitaine de Police wird weitermachen. Ich gehe wieder nach nebenan. Die Einsatzgruppe ist am Werk – jedes Winkelchen der Wohnung wird durchsucht, alles fotografiert und registriert. Da wird so methodisch vorgegangen, auf jede Kleinigkeit geachtet, dass selbst ein Außenstehender begreifen muss – der Verbrecher kann nicht unentdeckt bleiben. Seine Spuren müssen einfach entziffert werden.
Ich stehe mit dem Rücken zur Toten und schlage das Telefonbuch auf. Ninas Nummer finde ich auf der ersten Seite. Auf der dritten oder vierten steht nur ein C. Vielleicht Claude Seguin? Ich schreibe mir die Nummern ab, es sind nicht viele. Die Fenner war, wie Frau Donig sagt, tatsächlich kein geselliger Charakter. Ich überlege kurz und entscheide, dass ich die Telefongespräche verschieben kann. Der Capitaine de Police hat Fenner bereits vom Tod seiner Nichte unterrichtet oder wird es sofort tun, falls er es noch nicht getan hat. Claude Seguin wird er am Nachmittag aufsuchen, desgleichen Nina. Den Ehemann der Fenner wird Sophie in die Dienststelle bringen. Am wichtigsten ist jetzt eine andere Nummer. Die der Behörde, die
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