Kobra
er. „Das glauben Sie nicht? Da sind Sie im Irrtum, caro Collega! Es gibt sie! Und wie! Nehmen Sie nur die Wespen. Es gibt Wespenarten, die mit einem Stich ihres Stachels eine bestimmte Spinnenart lähmen – wohlgemerkt, nur lähmen, sie heben sie lebend auf, töten sie nicht! – und zu dem gelegten Ei schaffen. Wenn die Larve schlüpft, findet sie einen lebendigen Nahrungsvorrat. Da haben Sie ein Beispiel.“
„Nun ja, aber Wespen“, wende ich skeptisch ein.
„Sie irren, caro Collega! Und der Kokoifrosch?“
„Was?“
„Der Kokoi. Er wurde im Dschungel am Orinoco entdeckt. Ein winziger schwarzer Frosch. Ein Stich mit seinem Gift – und aus! Lähmung der Stimmmuskulatur, Verlust des Bewusstseins, aber der Mensch bleibt am Leben! Die Herztätigkeit und das Atemzentrum werden nicht betroffen. Von dieser Gruppe gibt es noch fünf, sechs andere Gifte. Bei manchen ist nicht einmal ein Stich nötig – sie dringen durch die Schleimhäute ein. Stellen Sie sich vor! Ein Tropfen, ins Auge gespritzt!“
Ich stelle es mir sehr deutlich vor.
„Es gibt sie also!“, schließt Poletti.
Mein Glaube an die Journalisten der populärwissenschaftlichen Zeitschriften kehrt wieder und ich danke Poletti. Übrigens wollte ich nur wissen, ob er mir diese Dinge sagen würde, denn ich weiß bestens Bescheid, und mitternächtliche Konsultationen sind nicht meine Spezialität.
Wir schwatzen noch ein paar Minuten, dann geben mir die Polettis die Hand und gehen in ihre „kleine Etage“, ich bleibe zurück, um das Gehörte zu verdauen. Der Kaffee wirkt bereits, ich bin kein bisschen schläfrig. Ich könnte die ganze Nacht hier so sitzen, aber es wird wohl kaum nötig sein. Morgen muss ich gleich die toxikologische Forensik und Desens anrufen.
Wenn Poletti in den Fall Raphael Delacroix verwickelt wäre, hätte er kaum vor mir die Geschichte mit dem Meskalin ausgeplaudert und dann das vom Kokoi erwähnt. Oder ist er so dreist?
Ich höre Schritte im Korridor und beeile mich nicht, den Blick zu heben. Ich weiß, wessen Schritte es sind. Es wurde auch Zeit. Sie kommen näher, verzögern sich, da blicke ich hoch und stehe natürlich auf, um Frau Nilsson zu begrüßen.
„So spät noch hier?“, sagt sie lächelnd, als sie mir die Hand reicht. „Vielleicht warten Sie auf jemanden? Oder dienstlich?“
„Das eine und das andere, Frau Nilsson. Ich warte auf Sie.“
Es fällt mir ein bisschen schwer, so rasch vom lateinisch-französischen Esperanto auf Deutsch umzuschalten, aber ich tue es unter enormen Anstrengungen.
Frau Nilsson neigt den Kopf und sieht mich ironisch an.
„Wahrscheinlich wieder Telepathie?“
„Wieso, Frau Nilsson?“, frage ich naiv. „Haben Sie etwa auch an mich gedacht?“
Frau Nilsson lacht. „Natürlich habe ich! Sie sind doch mein Schutzengel.“
„Getroffen, Frau Nilsson! Und sie ahnen nicht, wie genau!“
„Warum?“
„Mein Name ist Angel.“
Was für schöne, gleichmäßige Zähne Astrid Nilsson hat! Und sie versteht es, sie zu zeigen. Sie schüttelt den Kopf.
„Oho! Zeigen sich auch bei Ihnen die Engel nur nachts?“
„Das ist ihre angenehme Pflicht, Frau Nilsson.“ Ich muss mich einfach wundern, wie mir solche Dinge einfallen. Vielleicht ist die späte Stunde daran schuld, vielleicht auch – ich muss es gestehen – Astrid Nilsson, die alles andere als hässlich ist.
In ihren Augen blitzt ein Flämmchen auf, aber sie ist klug genug, es sofort zu verbergen.
„Wunderbar! Und was möchte mein Schutzengel?“
„Ein paar Minuten, Frau Nilsson.“
Ich sage es und lächle, so naiv ich kann. Sie mustert mich und zögert, schickt sich an, es mir liebenswürdig abzuschlagen, doch ich komme ihr zuvor: „Ein paar Minuten, Frau Nilsson, von Ihrer Schlaflosigkeit.“
Meine Frechheit hat Erfolg. Astrid Nilsson lacht.
„Sie haben es sich also gemerkt? Das hätte ich nicht erwartet.“
Das ist so etwas wie eine halbe Zustimmung, und ich beeile mich, es noch frecher auszunutzen. Ich schaue auf die Sessel, danach auf sie.
„Hier ist es ungemütlich. Wäre es sehr aufdringlich, wenn ich Ihnen eine Erfrischung in der Bar anböte?“
Sie glaubt natürlich kein Wort von dem Theater, das ich ihr vorspiele, aber sie findet es unterhaltsam. Ein mitternächtliches Abenteuer mit einem französischen Criminalinspecteur général.
Das passiert einem nicht alle Tage.
Sie überlegt einen Augenblick. Dann sagt sie: „Ich hab’s
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