Koch zum Frühstück (German Edition)
Ich wickle den Fisch aus dem Papier, atme den Geruch ein und teste mit den Fingern die Konsistenz.
»Deine Schwester?« Er klingt verwundert. Ich fürchte, ich hab' in den letzten beiden Jahren vergessen zu erwähnen, dass ich eine habe.
»Das Amt hat Freitag angerufen. Und Montag...« Nicht grade eine tolle Einleitung. Vielleicht sollte ich mal anbringen, dass ich jetzt keine Schwester mehr, dafür aber aller Voraussicht nach ein Kind am Hals habe. Eines, das meine Nichte ist. Glaub' ich jedenfalls…
»Und was will dann das Jugendamt von dir? Muss ja 'ne ziemlich kleine Schwester sein.«
»Sie hatte einen Unfall. Sie ist tot.«
»Oh… das tut mir leid.« Er klingt betroffen, steht vom Sofa auf und kommt zu mir rüber.
»Muss es nicht. Wir… hatten kaum Kontakt.« Ich trete ein Stück zur Seite und entziehe mich seiner Hand, die er auf meine Schulter gelegt hat. Ich brauch' keinen Trost. Geht mir am Arsch vorbei.
»Sie und ich… Wir waren ziemlich verschieden«, sage ich erklärend.
»Verschieden?«
»Sie hatte ein echtes Problem damit, dass ich schwul bin.« Ich greife nach dem Filetiermesser. Und dass ‚Schwuchtel‘ noch die netteste Bezeichnung war, die sie für mich übrig hatte, behalt' ich wohl besser für mich.
Vielleicht sollte ich doch Sashimi aus dem Thunfisch machen.
»Willst du wirklich nichts?« Ein bisschen wütend, weil ich eigentlich nicht an Pamela, wie oft sie mich einen Arschficker genannt hat, den Rest meiner Kindheit und diesen ganzen Familienscheiß denken wollte, hacke ich auf das Filet ein.
Scheiße! Dabei hatte ich irgendwann mal beschlossen, mich nicht mehr dran zu erinnern. Im Alltag hab' ich's vergessen. Meistens jedenfalls, ist besser so. Denn wenn ich dran denke, tut's weh… irgendwo in mir drin… verdammt weh.
»Pass auf deine Finger auf.« Michael tritt einen Schritt zurück. Weise Entscheidung.
»Keine Sorge.« Ich glaube, ich mache wohl doch besser Tartar.
»Was machst du?«, will er wissen. Aber ich glaube, er fragt nur, um vom Thema abzulenken.
»Wenn du eine Schalotte findest, vermutlich ein Tartar.«
Ergeben geht er zum Kühlschrank.
»Und, eine Limette.«
»Find' ich nicht.«
»Muss oben in der Tür sein.«
»Da ist keine.«
»Dann eine Zitrone.« Scheißegal, geht auch.
»Hier.« Er legt die kleine Zwiebel und die Zitrone zwischen uns auf den Küchenblock.
»Danke!« Der Thunfisch ist mittlerweile in winzige Würfel geschnitten. Mit fällt grade auf, dass ich die Tomaten für den Arsch gehackt hab', aber vielleicht sollte ich ausprobieren, wie es schmeckt, wenn ich die Hälfte untermische. Kochen ist Abenteuer. Das einzige, auf das ich stehe. Ich mag es, unkonventionelle Dinge auszuprobieren und mich dabei auf meine Instinkte zu verlassen. Die besten Sachen entstehen genau so.
»Meine Schwester hat eine Tochter«, sage ich, während ich Michael den Rücken zudrehe und mit der freien Hand nach der Flasche mit dem Olivenöl hangle.
»Eine Tochter?«
»Sie ist fünf.«
»Wundert mich nicht, dass ich von ihr auch nichts weiß«, erwidert er ein bisschen zynisch. Für einen Moment denke ich darüber nach, ob er denn Geschwister hat. Ich glaube, er hat mal was von einem Bruder erzählt.
»Ist nicht mein Lieblingsthema. Und es hat sich eben nicht ergeben«, wiegle ich ab, während ich ein bisschen Salz und groben Pfeffer auf die Mischung gebe und beginne, Fisch, Tomaten und die mittlerweile ebenfalls gehackte Schalotte zu verkneten.
»Onkel David.« Er scheint amüsiert.
»Nicht wirklich. Ich hab' sie ewig nicht gesehen.« Ich lecke einen Finger ab. Gar nicht so übel, kann man lassen. Tartar von rotem Thunfisch und Sommertomaten auf Röstbrot und kaltem Zucchini-Püree. Vielleicht sollte ich es auf Olivenciabatta servieren… »Und was wollten sie dann von dir?«
»Na ja…«, gebe ich zögerlich zu, »es ging im Grunde um ihren weiteren Aufenthaltsort. Darum, wo sie jetzt hin soll, wenn ihre Mutter tot ist.«
»Was ist mit ihrem Vater?«
»Den gibt es wohl nicht.« Hat bei uns anscheinend Tradition.
»Und deswegen sollst du das jetzt entscheiden?«
»Sieht ganz so aus. Momentan ist sie bei irgendeiner Nachbarin untergebracht. Und es geht darum, wo sie in Zukunft sein soll. Ob sie in ein Heim kommt, in eine Pflegefamilie oder…«
Ich nehme einen Esslöffel, forme zwei Nocken aus meinem Thunfisch-Tomaten-Tartar und richte sie V-Förmig auf dem Teller an. Dann drehe ich mich rüber zur Arbeitsplatte, auf der mein Toaster steht, nehme die
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