Koch zum Frühstück (German Edition)
vermutlich ein bisschen hart ist. Vielleicht probiere ich es ein paar Wochen. Zurückgeben kann ich sie später ja immer noch. Dann kann ich mir wenigstens nicht vorwerfen, ich hätte es nicht versucht. Selbst wenn ich dann mit dem Gedanken an ein Heim auch nicht besser klar käme.
Heute Abend wird Claas den Chefposten übernehmen. Ich sollte vielleicht drüber nachdenken, ihn zum zweiten Sous-Chef zu machen. Ich brauche jemanden, der weiß, wie ich ticke, auf den ich mich verlassen kann und der meinen Anspruch kennt.
Patrick erfüllt vor allem Letzteres nicht. Er war nicht meine Wahl, ich hab' ihn quasi übernommen, nachdem ich vom ‚Strandgut‘ , wo ich vorher zwei Jahre lang Sous-Chef war, als Küchenchef ins ‚Reuter's‘ gewechselt bin. Es ist nicht klug, wenn man direkt damit anfängt, Teile der Brigade zu degradieren. Ich hab' sowieso nicht grade den besten Stand beim Großteil der Mannschaft und was man so hört, eilt mein Ruf mir voraus.
Ich bin jung, ich bin ehrgeizig, angeblich bin ich cholerisch und ich bin, was meine Küche angeht, kompromisslos. Ich will, dass alles perfekt ist, weil ich den zweiten Stern will. Alles in allem bin ich also nicht grade der Mitarbeiter des Monats.
Dass ich schwul bin, kommt natürlich erschwerend hinzu. Denn das ist definitiv etwas, was man in einer Küche unterhalb meiner Position besser für sich behält: Es sei denn, man steht drauf, dass irgendwer einem den Schwanz abhackt.
Patrick war schon unter meinem Vorgänger Sous-Chef im ‚Reuter's‘ . Er ist ein guter Koch, sicherlich kein Genie, aber er beherrscht sein Handwerk. Hat genug internationale Erfahrung und schon in vielen guten Läden gearbeitet, aber er mag mich nicht. Nicht, dass ich darauf gesteigerten Wert legen würde, alles, was ich momentan von ihm bräuchte, ist seine Anwesenheit. Aber dummerweise ich kann ihn wohl kaum mit einem Gipsbein an den Herd beordern, nur weil ich mal eben einen auf Familie machen muss.
Wer weiß, ob er überhaupt zurückkommt, es gibt Gerüchte, dass er sich anderweitig orientieren will. Was man so hört, hat er sich im ‚Fusion‘ auf einen Posten beworben. Und dort gesagt, er käme mit meiner Art nicht zurecht.
Wir sind ein paar Mal aneinander geraten, vielleicht, weil ich gut und gerne zehn Jahre jünger bin oder er mir übel nimmt, dass ich der Küchenchef bin. Vermutlich hat er selbst auf den Job spekuliert. Ist ja keine Seltenheit, dass der Sous-Chef nachrückt, wenn der Maître geht.
Das Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schlucke. Schätze, jetzt ist es wohl soweit. Sie sind zu früh, es ist kurz vor zehn und ich stehe da und starre den Türöffner an. Ich will da nicht draufdrücken…
»Guten Tag, Herr Klein!«, flötet Frau Schroth obligatorisch gut gelaunt, als sie sich aus dem Fahrstuhl schiebt. Sie trägt einen offenen ‚Pampers‘ -Karton unter dem Arm. Ich dachte, aus dem Alter wäre sie raus… Also die Kleine jetzt.
»Hi!«, sage ich unentschlossen. Vielleicht nicht grade die adäquateste Begrüßung.
»Schön, dass es so schnell geklappt hat!«, ignoriert sie's. Offensichtlich haben wir ziemlich unterschiedliche Ansichten, was den Begriff ‚schön‘ angeht. Ein fünfundachtziger Sassicaia ist schön. Und ein sanft gegarter, innen noch rosafarbener Rehrücken an Morchelrahmsoße mit Kartoffelplätzchen und ein paar Variationen von grünem Kohlgemüse dazu. Oder Kaninchenrücken mit Maronenmus in Blätterteig.
»Guten Tag!«, versuche ich mein lapidares ‚Hi‘ zu entschärfen. Dämlich stehe ich in der halb geöffneten Wohnungstür und einen Moment lang hab' ich die Hoffnung, dass sie alleine gekommen ist. Dass sie mir mit bedauernder Miene mitteilt, dass sich alles irgendwie erledigt hat, weil der Vater aufgetaucht ist, man eine Pflegefamilie für sie gefunden hat oder die Stadt Hamburg mir aufgrund meines Lebenswandels besser doch kein Kind anvertrauen will und dass in dem großen Karton viele Taschentücher sind, falls ich deswegen heulen muss…
Aber so ist es nicht, denn ein bisschen zaghaft tritt ein kleines Mädchen in einer viel zu großen Jacke, aus der unten zwei dürre Beinchen in Strumpfhosen und abgetragenen Winterstiefeln hervorragen, aus dem Lift. Sie ist blond, wie ich. Hat lange, ein bisschen ungemachte Haare und drückt sich mit ihren winzigen Händen eine große, prall gefüllte ‚Lidl‘ -Plastiktüte an die Brust.
Das ist sie dann also. Pamelas Tochter… Und ein bisschen sieht sie so aus, wie ich meine
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