Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
… für Sophie blieb sie die gleiche.
XXVII
Ein Jahr später fuhr der alte Landarzt bei Kochlowsky vor und brachte einen jungen, forschen, sichtlich guttrainierten Mann mit.
Es war ein Jahr gewesen, in dem jeder in Herzogswalde die erneuerte Freundschaft zwischen Hammerschlag und Kochlowsky gespürt hatte. Das Sägewerk war aufgebaut worden, in der Ziegelei hatte man nun auch die Produktion von gebrannten Dachziegeln aufgenommen, in der Landwirtschaft des Barons von Finck waren Ställe gebaut, Felder umgepflügt, geeggt und mit Futtergras eingesät worden, große Flächen waren mit Zäunen eingegrenzt worden, und aus Polen waren per Bahn ein Stier und zwanzig Kühe angekommen. Beim Ausladen hatte sich der Bulle losgerissen, war schnaubend die Hauptstraße hinabgerannt und erst vor dem Gemischtwarengeschäft stehengeblieben, wo er einen ausgehängten Strohhut auffraß.
Kochlowsky war es gewesen, der den Bullen am Nasenring gefaßt und ihn zum Bahnhof zurückgebracht hatte. Er hatte seinem Freund Hammerschlag beim Ausladen geholfen und wäre fast von dem Stier umgerannt worden.
Der alte Doktor war in diesem Jahr krumm geworden. Rheuma und Arthritis hatten ihn verbogen, und dagegen gab es keine Mittel außer heißen Bädern in Kräuterextrakten oder einer Kur in einem der bekannten Badeorte, die sich der alte Arzt aber nicht leisten konnte. Außerdem war es nur eine Linderung der Schmerzen, keine Heilung … Arthrose war ein Schicksal, dem man nicht entrinnen konnte und das man tapfer ertragen mußte.
Mit Mühe stieg der Arzt an diesem Tag aus seiner Kutsche, stützte sich auf den jungen Mann und betrat Kochlowskys Büro in der Ziegelei.
»Nanu?« sagte Kochlowsky und rückte einen Stuhl heran. »Ist bei uns jemand krank? Davon weiß ich ja gar nichts. Ernsthaft?«
»Ja.« Der alte Arzt setzte sich seufzend und zeigte auf seinen jungen Begleiter. »Das ist Dr. Jochen Kreutzer. Er wird ab nächsten Monat meine Praxis übernehmen. Ich setze mich zur Ruhe.«
»Seien Sie willkommen, Doktor.« Kochlowsky und Kreutzer drückten sich die Hand. »Jetzt kann man auch in Herzogswalde endlich hoffen, nicht mehr wie zu Paracelsus' Zeiten behandelt zu werden.«
»Paracelsus wird immer ein ärztliches Vorbild bleiben.« Dr. Kreutzer lächelte. Die Warnungen seines alten Kollegen waren berechtigt. Dieser Kochlowsky mußte genommen werden, wie er war … sich beleidigt zu fühlen war ein unnötiger seelischer Aufwand. »Man hört heute viel zu wenig auf ihn.«
»Die Vorstellung des jungen Kollegen ist aber nur ein Vorwand. Deshalb bin ich auch hierher in die Ziegelei gekommen.« Der alte Arzt sah Kochlowsky böse an. »Stimmt es, was man sich in Herzogswalde erzählt? Ihre kleine Frau ist schon wieder schwanger?«
»Fragen Sie Ihre Informanten, Doktor«, antwortete Kochlowsky kühl.
»Ich frage den, der's getan hat, verdammt noch mal! Bekommt sie wieder ein Kind?«
»Ja …«
»Was habe ich Ihnen damals gesagt?«
»Eine ganze Menge. Vom Kastrieren bis zum Hurenhaus in Dresden war alles drin!« Kochlowsky faltete die Hände unter seinem Bart. »Was wollen die Herren nun?«
»Ich möchte, daß Ihnen der junge Kollege das Risiko dieser Geburt vor Augen führt. Mir glauben Sie ja nicht, aber Dr. Kreutzer kommt mit den neuesten medizinischen Erkenntnissen zu uns. Er hat in Kliniken von Leipzig und Dresden gearbeitet und kommt nur deshalb in unser Nest, weil er in Dresden ein Mädchen aus Herzogswalde kennengelernt hat.« Der alte Arzt atmete tief durch. »Fangen wir also an: Diese erneute Schwangerschaft ist ein Verbrechen …«
»Es wäre besser, Sie verließen jetzt schleunigst mein Büro«, sagte Kochlowsky leise.
»Ich habe als Arzt nicht nur die Pflicht, Krankheiten zu heilen, sondern auch voraussehbare medizinische Katastrophen zu verhindern. Das Leben Ihrer Frau ist in Gefahr, wenn sie das Kind austrägt.«
»Was heißt wenn?«
Dr. Kreutzer räusperte sich. Er sagte das Folgende höchst ungern: »In Notfällen, wenn es wie hier um das Leben der Mutter geht, ist es medizinisch verantwortbar, einen Abortus einzuleiten.«
»Raus!« sagte Kochlowsky dumpf. »Sofort raus!«
»Ihre Frau überlebt die Geburt nicht.«
»Das liegt in Gottes Hand, nicht in Ihrer!«
»Ha! Plötzlich redet er von Gott!« Der alte Arzt stampfte auf die Dielen. »Sie enttäuschen mich, Kochlowsky. Plötzlich schieben Sie eine Verantwortung ab auf einen, der sich nicht wehren kann. Haben Sie sich so verändert?«
»Nutzt es was, wenn ich
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