Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
überleben. Sein Atem ging regelmäßiger, er trank sogar ein paar Schluck und durfte am dritten Tag einen Möhrenbrei essen.
Leopold Langenbach streckte Kochlowsky über das Pult hinweg die Hand entgegen.
»Gratuliere«, sagte er. »Das war eine große Tat!«
»Ich brauche kein Lob von Ihnen«, hackte Kochlowsky sofort zurück. »Sie standen davor und wußten alles besser. Dort nebenan wäre Plumps auf dem Tisch gestorben. Und Sie wagen es, mir ein Lob auszusprechen?«
Mit starrem Gesicht zog Langenbach seine Hand zurück. Er hatte es wieder versucht, aber es führte kein Weg zu Kochlowsky hin. Wo er war, mußte man mit seiner Gegnerschaft leben.
Nach einer Woche – Plumps konnte mit bandagiertem Oberkörper schon wieder im Bett sitzen und den Besuch seiner Familie empfangen – stellten sich am Sonntag nach dem Gottesdienst und einer schönen Predigt von Pfarrer Maltitz, der Gott für die Errettung seines Sohnes Plumps dankte und sogar Kochlowsky dabei erwähnte, Frau Plumps und die sieben ältesten Kinder im Garten von Kochlowskys Haus auf. Es war ein sonniger Vormittag, aber lausig kalt. Die Kinder hatten über ihre Mäntel sogar noch Decken gehängt und die Mützen über die Ohrenschützer gezogen, aber sie waren voll Fröhlichkeit, bildeten einen Halbkreis um ihre Mutter und achteten auf ihr Zeichen.
Und dann begannen sie zu singen, ihr Atem wogte als weiße Wölkchen um sie herum, die Töne klirrten fast im Frost, aber sie sangen aus voller Brust und mit der Begeisterung von Menschen, die einen großen Dank abstatten. Ein Kirchenlied sangen sie, und Kochlowsky stand neben Sophie am Fenster, starrte entgeistert auf die Kinder und die dirigierende Mutter und vergrub beide Hände in seinen Bart.
»O daß ich tausend Zungen hätte und einen tausendfachen Mund, so stimmt' ich damit um die Wette vom allertiefsten Herzensgrund ein Loblied nach dem andern an von dem, was Gott an mir getan.
Ich will von Deiner Güte singen, solange sich die Zunge regt; ich will Dir Freudenopfer bringen, solange sich mein Herz bewegt; ja, wenn der Mund wird kraftlos sein, so stimm' ich noch mit Seufzen ein …«
Kochlowsky drehte sich vom Fenster weg – blickte ins Zimmer hinein und vermied es, daß Sophie jetzt sein Gesicht sah. »Hol sie herein«, sagte er, und seine Stimme klang weich, völlig fremd, so gar nicht zu ihm passend. »Sie frieren sich ja schrumpelig. Koch den großen Topf voll Kaffee, und schneid den Sonntagskuchen an.«
Dann ging er hinaus, holte Frau Plumps und die sieben Kinder ins Haus. Er legte dabei den Arm um Frau Plumps, weil das Schluchzen sie schüttelte.
VII
Das Weihnachtsfest warf seinen Glanz – oder sagen wir bei Kochlowsky besser seine Schatten – voraus. Festtage waren Kochlowsky von jeher ein Greuel. Ob Ostern oder Pfingsten, Weihnachten oder Silvester, Kaisers Geburtstag oder der Reichsgründungstag – immer, wenn es etwas zu feiern galt, sah man Kochlowsky mit mißmutiger Miene herumlaufen und ging ihm tunlichst aus dem Weg.
Nicht, daß Kochlowsky ein Freudenmuffel gewesen wäre, im Gegenteil, er liebte alles, was mit Wein, Weib und Gesang zusammenhing, und gerade davon hätte man in Pleß ganze Oratorien singen können – nein, es war immer das Gefühl der persönlichen Leere gewesen, das ihn mit Macht überfiel, wenn andere ihre Freude am Feiern genossen. Jeder hatte irgendwie Anschluß: Freunde, Bräute, Frauen, liebe Verwandte, mit denen er fröhlich sein konnte – Kochlowsky hatte nichts. Niemanden. Wer wollte schon sein Freund sein? Und die Frauen, die in schneller Abwechslung sein Bett teilten, schlichen zwar wie die Katzen nachts in sein Haus, aber in der Öffentlichkeit wollte sich keine mit ihm zeigen, schon allein deshalb nicht, weil die meisten von ihnen Ehefrauen oder Bräute anderer Männer waren. Und wer's nicht war, der schämte sich erst recht, denn eine ehrbare Bürgertochter hatte an der Seite des verruchten und verfluchten Kochlowsky erst recht nichts zu suchen.
So saß denn Kochlowsky an den Feiertagen meistens allein und vergrämt in seinem Verwalterhaus bei Schloß Pleß, betrank sich mit einem guten Rotwein – was am nächsten Tag noch mehr Ärger bedeutete, weil ihm dann der Kopf zu platzen schien – und ärgerte sich grün über seine Mitmenschen, die die Feiertage so fröhlich verlebten.
Aber jetzt war das anders. Es gab Sophie, sein kleines, süßes Frauchen, es gab Wanda, seine Tochter, seinen Engel, seinen Sonnenstrahl, und er hatte ein eigenes
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