Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
unwiderstehlich auf einen Mann wirkten. »Ein Mann wie Sie ist selten in Wurzen. Ein Mann, der auf alle Konventionen pfeift, der lebt, wie er leben will, dem die Gesellschaft völlig gleichgültig ist, der mit Stolz hinnimmt, ein Scheusal genannt zu werden. So etwas zieht mich an wie ein Magnet die Eisenspäne. In Pleß, dort unten im fernen Oberschlesien, nannte man Sie den ›Feldherrn‹. Die Männer fürchteten Sie, und die Weiber liefen Ihnen nach wie Bienen dem Honig.«
»Wer hat das gesagt?« knurrte Kochlowsky.
»Ich habe im Hotel mit einigen Frauen der Theatergemeinde aus Pleß gesprochen.« Blandine Rechmann lächelte breit und gefährlich. »Was sie alles von Ihnen wußten, Leo! Es gab da mindestens zehn Ehemänner, die alle einen Grund hatten, Sie umzubringen! Daß Sie die kleine Sophie heirateten, war fast ein Glück für Sie … so brauchten Sie eines Tages nicht vor den rachsüchtigen Männern und den tollen Weibern zu flüchten.«
»Was hat das mit meiner Weihnachtsgans zu tun?« fragte Kochlowsky steif.
»Viel! Sie bekommen die Gans nur, wenn Sie mich küssen!«
»Und wenn ich unter diesen Umständen auf die Gans verzichte?«
»Das ändert kaum etwas.« Ihr Lächeln war wie ein Sog, der ihn zu ihr hinzog. »Die Tür ist verschlossen, ich habe den Schlüssel in meinem Mieder …« Sie steckte ihn schnell zwischen ihre Brüste und breitete dann die Arme aus. »Sie müßten ihn dort wegholen oder die Tür eintreten. Was würde das Mädchen denken? Leo, Sie haben keine große Wahl in Ihren Mitteln!«
»Sie auch nicht, Blandine. Was Sie jetzt vorhaben, müßte unter Ihrer Würde sein.«
»Würde? Müssen Sie und ich noch von Würde reden, wenn wir uns ansehen und wissen, was wir im geheimsten wollen? Leo, seit wann heucheln Sie? Mon dieu, was hat die Ehe nur aus Ihnen gemacht …«
Kochlowsky sah sie mit seinen starren schwarzen Augen an. Es war jener stechende Blick, den bisher noch keine Frau unbeschadet überlebt hatte. Auch Blandine stockte bei aller Erfahrung einen Augenblick lang das Herz, und in diesem Augenblick faßte Leo zu, riß sie an sich, küßte sie hart auf den halbgeöffneten Mund, griff gleichzeitig in ihr Mieder, schob seine Hand zwischen ihre Brüste, und bevor sie wollüstig aufstöhnen konnte, riß er den Schlüssel heraus, stieß sie zurück gegen die Wand und schloß die Tür auf.
»Und nun die Gans!« sagte er. Es klang wie ein Befehl. »Bemühen Sie sich nicht, gnädige Frau, ich finde den Weg!«
Im Gänsestall, den ihm das Hausmädchen zeigte, traf er einen Forstarbeiter, der eine Wand des Holzhauses ausbesserte. Auch er kannte natürlich Kochlowsky, starrte ihn ungläubig an und vergaß seine Arbeit.
»Sind das alle Gänse?« fragte Kochlowsky grob.
»Ja, draußen im Schnee sind keine mehr.«
»Das sind keine Mastgänse, das sind schwindsüchtige Spatzen! Nichts auf der Brust, nichts an den Bollen! Dagegen waren ja die Gänse auf Pleß wahre Dinosaurier.« Er wandte sich um, weil Blandine den Stall betrat, eingehüllt in einem Mantel aus Silberfüchsen, wie sie Kochlowsky bisher nur bei den russischen Großfürsten, die nach Pleß zu Besuch gekommen waren, gesehen hatte. »Das sollen Gänse sein?«
»Sie haben – wie gewohnt – die Auswahl«, sagte Blandine anzüglich.
»Danke!« Kochlowsky wandte sich ab. »Ich würde mich schämen, mit einem solch verhungerten Vieh unterm Arm nach Hause zu kommen.«
»Sie wollten eine vor meinen Augen abstechen …«
»Wozu? Die fallen ja schon um, wenn ich sie nur anhauche? Madame, ich bedaure. Was Sie zu bieten haben, geht an meinen Ansprüchen vorbei …«
Er verließ den Stall, und Blandine folgte ihm kurzerhand. Trotz des dicken Pelzes zitterte sie, und es war nackte Wut, die sie frieren ließ.
»Du Klotz!« zischte sie. »Du Ungeheuer! Du Biest! Das wagst du mir zu sagen? Weißt du, was das bedeutet? Du behandelst mich wie eine Hure …«
»Ich möchte jetzt nicht darüber diskutieren.«
»Was bin ich in deinen Augen? Was?«
»Eine Frau, die man nicht mehr aus dem Bett lassen sollte!«
»Dann tu es doch! Tu es!«
»Nicht um den Preis einer Weihnachtsgans.« Er machte eine kleine, korrekte Verbeugung wie nach einem Tanz. »Madame, ich komme wieder …«
»Wann?«
»Ich werde plötzlich da sein.«
»Du bist der grausamste Lump, den ich kenne!« rief sie mit weinerlicher Stimme, warf sich herum und rannte ins Forsthaus zurück.
Kochlowsky blickte ihr nach, strich die Eiskristalle aus seinem Bart und ging
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