Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
gelassen, und beim Erntedankfest war er, voll des Weines, an ihren Tisch gestürzt, hatte sie auf die Tanzfläche gezerrt, wie ein verrückter Bär einen Hilliebillie getanzt und sie hinterher geküßt. »Das kann ich auch, ohne Leutnant und ein ›von‹ zu sein!« hatte er gebrüllt, und sie hatte sich fast bis in den Boden hinein geschämt, weil alle Zuschauer begeistert klatschten. Wer garantierte ihr jetzt, daß Kochlowsky beim Grafen Douglas nicht wieder etwas Aufsehenerregendes anstellte? Nein, sie wollte zu Hause bei Wanda bleiben.
Nach einer Viertelstunde gab es Kochlowsky auf, Sophie überreden zu wollen. So klein und zierlich sie war, so eisern war ihr Wille, das kannte er genau. Es war sinnlos, sie umstimmen zu wollen.
Am Abend des Festes stand Leo wieder vor dem Spiegel und kam sich vor, als sei er noch in Pleß. Von den Spitzen seiner glänzenden Lackstiefeletten bis zu dem messerscharfen Scheitel seines tiefschwarzen Haares war er eine Erscheinung voller Respekt und männlicher Eleganz. Damals gab es keine Frau, die über ihn hinwegsah, ob bürgerlich oder von Adel. Welche Frau auch immer Leo Kochlowskys Blick traf, die spürte ihr Herz. Allen war es ein Rätsel, daß ausgerechnet die kleine Mamsell Sophie Rinne ihn für sich und für immer eroberte.
»Du siehst gut aus, du eitler Affe!« sagte Sophie und stieß Leo die kleine Faust in den Rücken. »Fahr endlich los!«
»Daß du nicht mitkommen willst, mein Liebling …« Kochlowsky warf einen weiten, dicken Wollmantel mit Pelerine um seine Schultern und setzte einen glänzend gebürsteten Zylinder auf. »Ich werde mich langweilen …«
»Bestimmt nicht, Leo.«
Sie begleitete ihn zur Tür. Draußen wartete eine Droschke mit einem Kutscher der Ziegelei. Ganz offiziell als Betriebsleiter fuhr Kochlowsky zum Neujahrsball.
In der großen Vorhalle des Schlosses Amalienburg nahm Kammerdiener Emil Luther mit steifem Gesicht Kochlowskys Mantel und Zylinder entgegen. Aus dem Festsaal hörte man Musik und Stimmengewirr.
»Ah! Unser Luther!« sagte Kochlowsky genußvoll. »Das versteinerte Pferdegesicht! Wenn Sie der richtige Martin Luther sähe, würde er wieder Mönch werden!«
Er drückte dem tief errötenden Diener fünf Groschen Trinkgeld in die Hand. Das war eine unerhörte Beleidigung. Luther kippte denn auch die Hand um und ließ das Geld auf den Boden fallen. Zufrieden ging Kochlowsky zum Saaleingang, wo ihn der Haushofmeister dem Grafen ankündigen mußte.
Graf Douglas entband ihn jedoch dieser Pflicht, er kam sofort auf Kochlowsky zu und schüttelte ihm beide Hände.
»Wo ist Ihre entzückende kleine Frau?« fragte er sofort.
»Im Bett, Herr Graf. Eine fiebrige Erkältung. Bei diesem Wetter …«
»Haben Sie den Arzt gerufen? Soll mein Leibarzt zu Ihrer Frau kommen?«
»Der Arzt war schon da«, log Kochlowsky. »Er hat ihr Schwitzen und Ruhe verordnet.«
Dann war Kochlowsky in der Menge der Gäste untergetaucht und traf schon nach wenigen Schritten auf eine Erscheinung, der jeder nachblickte. Ein giftgrünes, tief dekolletiertes Kleid, aufreizend auf die Körperformen genäht, alles verbergend und doch alles verratend, darüber ein Schwall leuchtend roter Haare und ein Kopf von atemberaubender Schönheit.
Blandine Rechmann.
Ruckartig blieb sie vor Leo Kochlowsky stehen und blitzte ihn aus ihren grünen Augen herausfordernd an. Von allen Seiten beobachtete man die beiden verstohlen und neugierig. Ein selten schönes Paar, die Kokotte aus Frankreich und der Flegel aus dem fernen Pleß.
»Es stimmt also, Sie sind hier …«, zischte sie leise und lächelte dabei. »Deshalb wollte mein Mann nicht mitkommen! Wollen Sie ihn vertreten? Eine Frau ist allein so schutzlos in der Gesellschaft …«
Ohne eine Antwort abzuwarten, hakte sie sich bei ihm unter. Es war, als ginge ein unhörbares Seufzen durch die Gäste. Also doch!
Es war fast unvermeidbar, schicksalhaft – sie mußten aufeinanderprallen. Wurzen bekam seine geheime Sensation.
»Was trinken wir?« fragte Kochlowsky, etwas heiser vor Erregung.
»Natürlich Champagner, was sonst?« Ihr Lachen perlte durch die Musik, als sei es ein besonderes Instrument. »Mögen Sie Champagner, Leo?«
»Bis zu einer gewissen Grenze, dann macht er mich wild!«
Wieder das perlende, über Oktaven hinweggehende Lachen. Ihr aufreizender Körper bog sich dabei, und der Druck ihres untergehakten Armes verstärkte sich.
»Das will ich sehen!« flüsterte sie nahe an seinem Ohr. »Ich stelle es mir wie
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